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Mastodon Mappe: #PhantastikPromts DEZ 2023

Vor lauter Planlosigkeit heut am Sonntag damit entspannt, gleich alle 31 Tagesfragen von @hthomsenwrites Dezember-PhantastikPromts zu beantworten. Ich dachte, ich hole alle Fragen vom November nach. Egal!

1—Aktuelles Projekt.
Nix eigenes. Beknete als Texthebamme Übersetzung von #AlanMoore|s »#Jerusalem«, erscheint ca. in einem Jahr im Carcosa-Verlag. Eine Millionen Wörter. Extrem facettenreicher großer, visionärer Roman. Erz-Phantastik auf allen Ebenen: Sprache, Struktur, Weltenbau, Erzählhaltung. Dreifacher Augenblick (Inferno-Purgatorium-Paradies) der Ewigkeit mit den Northhampton-Boroughs als Snookertisch der Erzengel.

2—Schon eigenen Stil, eigene Sprache gefunden?
Nie wirklich Gedanken dazu gemacht. Ich suche ohne finden zu wollen. Großer Respekt für Wandlungsfähigkeit. Sprache ist Atem, Gesang, Melodie und Rhythmus, Bewegung. Heiliger Wittgenstein-Satz (in etwa): »Die Grenzen meiner Sprache, sind die Grenzen meiner Welt«.
Jede Geschichte, jeder Text gravitiert zu SEINER ›idealen Sprache‹. Wer mit Sprache arbeitet, sollte da entsprechende Mystik betreiben.

3—Liebste Person- & Zeitform?
Egal. Kommt auf den Text, die Erzählung an. Seh das handwerklich. Siehe Bauhaus-Maxime: »Form folgt Funktion«.

4—Baust du dich selbst in deine Geschichten ein?
Geht gar nicht anders. Alle Erzählungen, Texte sind immer auch Ich-Aussagen. Fragt sich halt, wie bewusst.

5—Schreibst du Lieber Kampf- oder Liebesszenen?
Egal. Beides reizvoll.

6—Wie viele Bücher der Stilrichtung, die du gerade schreibst, hast du bisher gelesen? Lieblinge?
Einiges. Sowas wie »Jerusalem« von Alan Moore ist eins meiner Lieblingsgefilde der Literatur. Gibt dafür den spielerischen Begriff ›Maximalliteratur‹, wenn mensch also eigentlich größenwahnsinniger Ambition folgt, DEN (menschlichen) KOSMOS in Prosa zu modeln. Auszuloten, zu WAS die Roman-Form fähig ist.

7—Mit Geschichten eher unterhalten oder zum Nachdenken anregen?
Fühle mich unwohl damit, dass zu einem Gegensatz aufzubrezeln. Finde es viel wichtiger, sich materielle Verortung seines Schreibens klar zu machen: für Geld oder nicht ist da sicherlich die wichtigste. Hat weitreichende Auswirkung darauf, mit welcher Haltung und Ambition mensch erzählt.

8—Wie würde deine Hauptfigur dich beschreiben, wenn sie ein Buch über dein Leben verfassen würde?
Frage zu komplex. Sorry.

9—Machen bei dir alle Figuren eine Entwicklung durch versus bleiben einige Figuren statisch:
Sehr gute Frage! Figuren sind die Argumente einer Erzählung. Man muss sich schon entscheiden, welche Argumente man tiefer behandelt; entsprechend haben die dann auch Dynamik, Entwicklung.
Und: Dialektik is a b*tch! Siehe Joker-Batman-Superkurzmetapher in »The Dark Knight«: »That’s what happens, when an unstoppable force meets an immovable object« für den ewigen Kampf zwischen Licht und Finsternis, Ordnung und Chaos, The Beatles und Rolling Stones, Sloterdijk und Žižek, and so on and so on.

10—Schockierende Szenen! Horror! Gibt’s sowas bei dir, und wie gehst du die an?
Ich komme unter anderem vom Grauen, dem Ekel, der Faszination für die dunklen, cthonischen Aspekte der Natur und des Seins, dem Verspeisen und Verspeist-Werden. Wichtig für mich, immer wieder mal persönliche Relevanz-Frage stellen: warum will ich das (Thema, Gefühl, Problem, Dilemma, Paradox, Novum, Numen, Quell der Liebe, Quell des Zorns ect.) thematisieren? Vertrauen haben, dass Leser eigene Fetischismen und Tabus, Traumata und Fixierungen teilen.

11—Umgangssprachliche Formen, ja oder nein?
Kommt auf den Text an. Gehört zum Werkzeugkasten. Interviews oder Gesprächsaufzeichnungen transkribieren ist da eine feine Übung.

12—Schon mal »Du bist Autor?! Schrieb doch mal was zum Thema XYZ!« gehört und beherzigt?
Früher im Follow-Umfeld und bei anderen Kooperations-Aktionen desöfteren.

13—Eignung eigener Sache für Verfilmung?
Jupp. Kommt halt auf Umsetzung an. Transponieren lässt sich grundsätzlich alles.

14—Bergen deine Geschichten Rätsel, die sich erst beim Schreiben ergeben und beim Schreiben gelöst werden?
Ein markanter Aspekt des Schreibens kann genau darin bestehen, dieser Dynamik zu folgen: Rätsel tritt auf, Grübeln, Rätsel lösen oder nicht lösen. Gibt verschiedene Arten von und Funktionen für Rätsel. Auflösbarkeit ist keine notwendig Eigenschaft für ein Rätsel als Gestaltungsmittel. Siehe Dilemma, Mysterium.

15—Schon mal was nicht zu Ende gelesen wegen Stil, obwohl Inhalt reizvoll ist?
Oft. Reibe mich diesbezüglich seit Jahrzehnten z.B. an Thomas Mann. Der Kerl war nicht blöd oder verglichen mit anderen !Geniiiies! kein monströs-abstoßendes Oberarschloch, aber seine Sprache kommt mir frustrierend schnell mal in die falsche Röhre. Hab’s z.B. bis zur Hälfte in den zweiten Band der »Joseph-Quattro« geschafft (BTW: waschechte Fantasy; sollte mal jemand in Sammelschau in Beziehung setzen mit Peake, Tolkien und Niebelschütz).

16—Schon mal am #NoNoWriMo teilgenommen?
Nein. Hab deswegen auch Minderwertigkeits-Zuckungen. Respekt allen, die das mal durchgezogen haben.

17—›Symbolische‹ Techniken, ja oder nein?
Heikel, allein schon wegen Begriff ›symbolisch‹. Gemeint ist m.E. wohl, welcher Analogie-Kultur oder -Struktur mensch sich für eine bestimmte Erzählung bedient. Beispiel: eine Art Genres zu betrachten — Unterschiede und Verwandtschaften zu erkennen — ist, ihre jeweilige Symbol-Handhabung zu studieren. Siehe Unterschied und Verwandtschaften von symbolischer Verknüpfungs- und Zuweisungs-Praxis bei Märchen und Thriller, Science-Fiction und Bürgerfamiliendrama, Stummfilm-Spalstik und Dadaismus.

18—Was wäre ein passender Signature-Drink deiner Charaktere?
Kommt auf die Figur an. Da sollte von Milch über Scotch bis hin zu Blut und Amygdala-Schweiß und allem dazwischen alles möglich, oder? Ich sach nur: Slake-Moth in »Perdido Street Station« von China Miéville.

19—Was sollte eine perfekte Eröffnungsszene beeinhalten?
Kommt auf den Stoff, den Text an. Gibt z.B. großen Unterschied zwischen in-medias-res-Äktschn und holistisch-lyrischem Panorama.

20—Sequel schreiben bei großen Erfolg, obwohl Handlung abgeschlossen ist?
Tendenziell nein. Aber never say never. Ist aber eh eine Frage, die weit von dem weg ist, wo es meine Interessen hinzieht.

21—Vorbildhaftes Buch, das als Ideal dient?
Einige. Viele! Wichtig: es gibt überall Gemmen, es gibt überall Mist.
Harte Liebe einerseits für Maximalliteratur, aber auch wirkmächtige, kleine Formen. Ich mag es, wenn sich z.B. Romanform streckt und größenwahnsinnig, proteisch, promethisch, sphinxisch ist. Äktschn mit Tiefgang halt, Weltfern-Hautnahes. Zugängliche Hermeneutik. Siehe Egon Friedell über Dante: seine »Göttliche Komödie« ist zugleich Enzyklopädie (Wissen), Predigt (Relevanz) und dramatisches Epos (Gaudi).

22—Wie kam es zum aktuellen Projekt?
Texthebamme für deutsche Fassung »Jerusalem« von Alan Moore, weil ich von Hannes Riffel für den Carcosa-Verlag angesprochen wurde. Hab mit ihm schon sehr gerne Hellboy- und Ted-Chiang-Kurzgeschichten gemacht und alte Übersetzung von Delaynys »Nimmèrÿa« beknetet. Ich mach nur, worauf ich wirklich Bock hab. Bin nicht auf’s Geld angewiesen. Hab nen Dienstleistungs-Brotjob.

23—Über welchen Zeitraum spannen sich die Ereignisse Deiner Geschichte?
Aaalso, Übersetzung von Alan Moores »Jerusalem« geht einmal durch die Ewigkeit (alter Mann und seine Enkelin laufen in Überwelt konkret von Anfang zum Ende der Zeit). Mehr ist nicht möglich.

24—Wird in deiner Geschichte Weihnachten gefeiert?
Ach Goddele. Was ne Frage. Egal!

25—Hat Vorgeschichte deiner Hauptfigur Prequel-Potential?
Alle Figuren haben dieses Potential.

26—Welche 3 Romanfiguren haben Dich bisher am meisten beeindruckt?
• Winston Smith: »1984« von Orwell als Jung-Teen entdeckt. Erste mal, daß ich Dilemma-Lebensgefühl einer Figur teilte;
• Andy Gage: Grund-Dilemma »Das Böse anerkennen, ohne sich von ihm anstecken zu lassen« hat Matt Ruff in »Set This House In Order« doll gestaltet;
• Tiffany Aching oder Granny Weatherwax von Pratchett. Meine Art von Stoizismus. Grad weil ich ehr Typ Magrat/Rincewind bin.

27—Weichenwerk-Dilemma! Was würde Hauptfigur retten: Ganze Stadt oder einen Freund?
Egal. Kommt auf die Geschichte an. Potentiell doofe (sprich: unagnehme) Frage, aber so sind halt Dilemmas. Keine Lösung, nur unterschiedliche Arten sich dazu zu verhalten. Einen (hohen) Preis zahlt man so oder so. Kontext! Welche Stadt? Welchen Freund?

28—Erklärung der Motivation von Antagonist wichtig oder nicht?
Tendenziell ja … WENN (Ziel)Konflikt(e) für die Geschichte wichtig und personalisiert ist(sind).

29—Grundstimmung deines Romans in fünf oder weniger Worten:
Bin derzeit Übersetzungs-Trapeznetz für Alan Moores »Jerusalem«. Aaalso: Proletarisch, magisch, cornukopisch, verspielt, emphatisch.

30—Was würde dein Antagonist an sich selbst verändern wollen?
Frage in meinem Fall leider vergeblich. Wer will da was an wem verändern?

31—Was würden Hauptfiguren nächstes Jahr gern anders machen wollen?
Ähnlich verzwickt wie Frage 30.

ENDE.

Was für ne Gaudi. Hoff, ihr habt auch was davon.

Jetzt erstmal ein Tässchen Kuchen.

Beste Bücher 2022 #TopTenBooks2022

Einleitung: Wie schon bei #TopTenMovies2022 geht es nicht um aktuellen Kram, sondern was ich letztes Jahr genossen habe. Plätze 10 bis 4 gelistet in Lesereihenfolge, Plätze 3 bis 1 aber nach reiflicher Überlegung, was ich richtig gut gemacht, gesellschaftlich relevant und für persönliches Wohlbefinden bzw. Wachstum förderlich fand.

Vorweg: Habe 89 Bücher 2022 gelesen. Fünf mal ›honorable mentions‹
• Japan-Doppelpackung
—Joseph Kreiner (Hrsg.): »Geschichte Japans«
—Christopher Harding: »Japan Story: In Search of a Nation, 1850 to Present«
• Nicole Mayer-Ahuja & Oliver Nachtwey (Hrsg.): »Verkannte Leistungsträger:innen«
• Judith C. Vogt & Christian Vogt: »Schildmaid – Das Lied der Skaldin«
• Sarah Kendzior: »They Knew: How a Culture of Conspiracy Keeps America Complacent«
• Alessandra Reß: »Spielende Götter«

PLATZ 10 William Gibson: »The Perpherial« (Penguin, 2014)
Vor Jahren begonnen und flott fertig geschmökert, um mir von Amazon-TV-Serie Stimmung nicht vermiesen zu lassen. Dolle Therapie angesichts Zivilisatzionszusammenbruch. Fast ein Märchen.

PLATZ 9 Patricia Eckermann / @feireficia: »Elektro Krause« (Trendition, 2021)
Kein Gramm Fett, lustig, spannend, locker. Ich der Serien-Skeptiker trau mich sagen: Gerne mehr.
Doofes aber ehrlich gemeintes Komplliment: fänd doll, wenn das mit dem Geschick von z.B. »Der Tatortreiniger« fürs TV verfilmt werden würde.
Bonus: #Cannabis-Verherrlichung mit Schrottplatz-Künstlerin.

PLATZ 8 Jan Potocki: »Die Handschrift von Saragossa oder die Abenteuer in der Sierra Morena« (1810; Übersetzung: Werner Creutziger; Haffmans bei Zweitausendeins, 2000)
Klarer Fall, daß olle Klassiker von Annodunnemal gern mal zeigen, wie waghalsig aber zugänglich durchgeknallt die Romanform sein kann. Verschachtelt, elegant, abenteuerlich, wunderbar verfizzelt, sprachlich Kraft doller Übersetzung berauschend, und Dank ausführlichem Glossar lehrreich.

PLATZ 7 China Miéville: »A Spectre Haunting. On The Communist Manifesto« (Head of Zeus, 2022)
Vielleicht bester Einstieg, um sich zu orientieren, warum des ganze Kapitalismus-Kritik-Gedöns a la Marx und Engels heut noch mindestens so relevant ist wie 1848, als »Das Kommunistische Manifest« erschien.
Großartige Analyse, historische Einordnung und Anregung für jetzt, z.B. mit #LerntKlügerHassen und #LerntKlügerLieben. Spannend wie Krimi.
Sollte es auf Deutsch geben.

PLATZ 6 Bernt Engelmann: »Wir Untertanen« & »Einig gegen Recht und Freiheit« (Steidl 1974, 1975)
Super-Twitter-Empfehlung von Henscheck auf Frage, ob es sowas wie Howard Zinn »A Peoples History of the United States« auch bei uns gibt.
Lohnt sich allein schon wegen der ausführlichen Großmetaphern, wenn z.B. Dreissigjähriger Krieg runtergebrochen wird »konkurrierende Gangster-Banden bekämpfen sich in einer Großstadt«.
Macht zornig, auf die gute Art.
Vergriffen? Schande!

PLATZ 5 Sally Rooney: »Normale Menschen« (2018; Übersetzung: Zoë Beck; btb, 2021)
Realismus bietet extrem heftige Phantastik, wenn sie, wie hier, z.B. wirkmächtig zeigt, daß allein so etwas wie »Wer bin ich? Was fühle ich? Was will ich?« von Vorstellungen und Konstruktionen abhängt, erst recht, wenn das eigene Innenleben sich mit heftiger Wahrnehmung anderer Menschen mischt. Zudem von einer sprachlichen Kraft und Präzision (auch auf Deutsch), wie ich sie selten erlebe.

PLATZ 4 Mariana Enríquez: »Was wir im Feuer verloren« (2016; Übersetzung: Kristen Brandt; Ullstein, 2017)
Seit Burnout 2018 wurde guter, nennt es ruhig #ElevatedHorror, wieder wichtiger für mich. Fühle mich verstanden und getröstet von Alpträumen. Die zwölf Geschichten dieser Sammlung bringen das Unheimliche und Monströse unserer Zeit gekonnt an’s Licht. Enthält sogar eine waschechte Cthulhu-Mythos-Story. Freu mich schon sehr auf baldige Lektüre von Enriquez’s fetten Roman.

BRONZE — PLATZ 3 Doppelpack Brian Attebery: »Stories About Stories« / »How Fantasy Works« (Oxford University Press, 2013, 2022)
Entdeckt über goiles Joseph-Campbell-#Monomythos-Bashing von Maggie Mae Fish bei youtube.
Pflichtlektüre für alle, die sich für #ProgressivePhantastik interessieren oder damit zu tun haben (wollen).
Sollte es auf Deutsch geben. Würd ich gern übersetzen; siehe meine »#Fantasy. Was sie leistet«-Notizen.

SILBER — PLATZ 2 Wu Ming: »54« (2002; Übersetzung: Klaus-Peter Arnold; Assoziation A, 2015)
Mit nix sonst derart umfängliche Gaudi beim Lesen erlebt dieses Jahr: gelacht, gejohlt, geseufzt, geweint, gestaunt. Süffig, berührend, haarsträubend, ulkig, empörend, zart, hart, spannend, clever, elegant, ruppig. Großes Kompliment für Übersetzung von Klaus-Peter Arnold.
SOWAS, aber als Fantasy, quasi Spaghetti Fantasy, würd ich gern zustandebringen.

GOLD — PLATZ 1 Émile Bravo: »Spirou & Fantasio Spezial Nr. 8: Portrait des Helden als junger Tor« und »Spirou oder: Die Hoffnung 1-4« (2008, 2018-2022; Übersetzung: Ulrich Pröfrock; Carlsen Comics, 2009, 2018-2022)
Dank Hinweis-Tröt von Genosse Frank Böhmert geschnallt, daß es zu »Held als junger Tor« noch 4-teilige Fortsetzung gibt. Émile Bravo ist wahrhaft ein Zauberer der Menschlichkeit angesichts finsterer Themen … für Kinder!
Geschichtenerzähler:innen, lernt von diesem Comic!

Molos Magira-Collection de Luxe als Google Docs

In den letzten Wochen habe ich begonnen meine längeren Texte (Sammel-Rezensionen, Übersetzungen) aus den »Magira – Jahrbuch zur Fantasy«-Ausgaben als Google Docs aufzubereiten. In meinem alten Blog ist die Aufbereitung in einzelnen Einträgen unübersichtlich, weil m. E. insbesondere Einleitungen und Übergänge der Sammel-Rezensionen meine Bemühungen wuppen, Argumente und Handreiche für allgemeines Nachdenken über (Genre-)Phantastik zu fördern. Als Google Doc sind diese Text nun wie ursprünglich gedacht lesbar und lassen sich zudem bequemer runterladen, wenn ihr den Wunsch habt, sie auszudrucken oder in Ruhe offline zu lesen.

Zudem habe ich hie und da die Sammel-Rezensionen um Bonus-Texte ergänzt, wo mir das zum Verständnis hilfreich erschien.

Noch ist nicht alles aufbereitet. Ich gebe auf Twitter bescheid, wenn neue Google Docs dazu kommen.

Ich trau mich bei dem Schaff drauf hinzuweisen, dass ich eine große Wunschliste zusammengestellt habe, für alle, die mir eine Sachspende zukommen lassen wollen.

Viel Spaß!

Magira 2009: »Wonniglich verirrt im Labyrinth der Phantastik-Saison 2008/2009«

  • Ju Honisch: »Das Obsidianherz«
  • China Miéville: »Un Lon Don«
  • Max Brooks: »Wer länger lebt ist später tot – Operation Zombie«
  • Nick Harkaway: »Die gelöschte Welt«
  • Thomas Pynchon: »Gegen den Tag«
  • Hal Duncan: »Das Ewige Stundenbuch 1 – Vellum«
  • Mark Z. Danielewski: »Das Haus«

Bonus

Thomas Pynchon: »Die Versteigerung von No. 49«

Magira 2007: »Gut gelaunte Phantastik-Empfehlungen des Lektürejahres 2006/2007«

  • Neal Stephenson: »Der Barock-Zyklus«
  • Susanna Clarke: »Jonathan Strange & Mr Norrell« / »Die Damen von Grace Adieu«
  • Terry Pratchett, Ian Steward und Jack Cohen: »Die Gelehrten der Scheibenwelt«
  • Sergeij Lukianenko: »Wächter der Nacht«-Bücher
  • Tom Shippey: »J. R. R. Tolkien – Autor des Jahrhunderts«

Magira 2006: »Launische aber aufrichtige Empfehlungen von seltsamen & verwirrenden Fantasybüchern der Phantastiksaison 2005/2006«

  • Tobias O. Meißner: »Das Paradies der Schwerter«
  • Neil Gaiman: »Anansi Boys«
  • Ian R. MacLeod: »Aether«
  • China Miévile: »Der Eiserne Rat« und Bas-Lag
  • Jeff Vandermeer: »Die Stadt der Heiligen & Verrückten«

Bonus

  • Übersetzung »Mittelerde trifft auf Mittelengland« von China Miéville aus »Magira 2003«
  • »Iron Council« und »Der Eiserne Rat«. Fehlende Stellen
  • Übersetzung »The Believer«-Interview mit China Miéville
  • Diana Wynne Jones: »Tough Guide to Fantasyland«

China Miéville: »The City & The City«, oder: Mördersuche hüben, drüben und dazwischen

China Miéville (*1972) pflegt die löbliche Programmatik, sich für jeden Roman ein anderes Genre vorzuknöpfen, um daraus schubladensprengende Phantastik zu machen. So ist »The City & The City« erstmal ein klassischer Detektiv-Krimi, wenn Commissar Tydor Borlu den Mord an einer unbekannten Frau aufzuklären hat.

Die Sprache ist meist rau, eben typisch ›Hard-Boiled‹-Krimi, auch wenn Miéville (wie immer) massig einige Wortschöpfungen präsentiert und vertraute Begriffe so verwendet, dass sie neuartig schillern. Trotz der kühlen Sprache ist der Roman ungeheuer dicht gewebt, sprich: bietet viele Details und Ideentupfer, statt Gelaber und unnötiger Rekapitulationen. Zudem sind mir einige äußerst gelungene Dialoge aufgefallen, dank derer Miéville sich und seinen Lesern ermüdend weitschweifige Figurenschilderungen erspart.

Bewundernswert finde ich das große Phantastik-Konzept von »The City & The City«. Da gibt es zwei Städte, die irgendwo in Osteuropa an einer Flussmündung liegen: das altmodischere und politisch-kulturell pluralere Besžel, die Heimat von Kommissar Borlu, und das einheitsparteiisch regierte aber Dank Auslandsinvestitionen modernere und wirtschaftlich florierende Ul Qoma. Die Städte liegen auf seltsam-›magische‹ Art in- und nebeneinander. Keiner weiß, ob diese Eigenheit vor vielen Jahrhunderten durch die Trennung einer Stadt, oder das Zusammenwachsen zweier Städte hervorgerufen wurde. Über die geschichtliche Herkunft der Städte gibt es reichlich, teils durch Tabus erschwerte Debatten. Passt, kennen wir doch Ähnliches, wenn z. B. Ideologen eine Leitkultur einfordern und bestimmte Bräuche, Religionen oder sogar Arten das Bedürfnis nach willentlicher Manipulation des Bewusstseins mittels Rauschzuständen zu befriedigen als ›kulturfremd‹ und ›gehört nicht zum alkoholisch-christlich Erbe des Abendlandes‹ ausgrenzen.

Die Grenze zwischen Besžel und Ul Qoma verläuft sehr unübersichtlich. Da gibt es Bereiche, die eindeutig — ›total‹ — nur der Stadt angehören, in der man sich gerade befindet, dann ›alter‹-Orte, die zur anderen Stadt gehören, und schließlich schraffierte ›crosshatched‹-Zonen (übersetzt als ›Deckungsgleichen‹). Die Einwohner der beiden Städte achten penibel darauf, nur die zur eigenen Stadt gehörenden Dinge und Personen wahrzunehmen, und die andere Stadt zu ignorieren (›to unsee, unsmell something‹).

Mit Worten wie ›grosstopically‹ und ›topolganger‹ beschreibt Miéville die Wirrnisse der Zwillingsstädte Besžel und Ul Qomo. — ›Topolganger‹ bezeichnet das Gegenstück eines Ortes in der anderen Stadt. Eine Straße die nicht total in einer Stadt liegt, hat dann zwei Namen. So ist Ioy Street der Ul Qoma-›topolganger‹ von Rosid Strász in Besžel. Für die Bewohner von Besžel sind die Leute aus Ul Qomo zwar ›grosstopically‹ anwesend, aber es ist Besžel-Bewohnern nicht erlaubt die ›anderen‹ in Ul Qoma direkt und bewusst wahrzunehmen, denn allein das wäre schon eine Grenzverletzung.

(Wie meistens, wenn ich einen neuen Roman von Miéville auf Englisch lese, frage ich mich, wie man solche sprachlichen Eigenarten auf Deutsch meistern könnte. Ich habe die Übersetzung für Bastei Lübbe von Eva Bauche-Eppers nicht komplett ›geprüft‹, aber bei der Querbeet-Zweitlektüre musste ich oft anerkennend nicken und schmunzeln. Das ist Fitzelarbeit, die höchste Konzentration und viel Geschick verlangt.)

Von Klein an werden die Bewohner beider Städte darauf getrimmt, die eigenen kulturelle Merkmale zu verinnerlichen, und diejenigen der anderen Stadt zu ignorieren. Die entsprechenden Regeln der Unterscheidung beziehen sich auf solche Dinge wie Schrift und Sprache, körperliche ethnische Merkmale, und erstrecken sich bis hin zu typischen Speisen, Musik, Gesten und Farben.

Das macht natürlich alles mögliche Alltägliche, beispielsweise Straßenverkehr und Feuerwehreinsätze, ziemlich kompliziert, und erst recht Politik und Geschäftsleben und eben auch Verbrechen, wenn wie im vorliegenden Fall eine amerikanische Archäologin als Gast in Ul Qoma wohnt und dort an Ausgrabungen teilnimmt, deren Leiche aber in Besžel gefunden wird.

Die Einhaltung der Trennung überwacht eine unheimliche Macht namens ›Breach‹ (auf Deutsch ›Ahndung‹). Breach ist nicht nur die Bezeichnung für die Straftat der Grenzverletzung selbst, sondern auch der Überwachungsinstanz, ihrer Mitarbeiter, ja der zwischen/über dem Zweistadtgefüge liegende Ort des ›Bruches‹, des ›Risses‹ wird so genannt. Und vor Breach haben alle Bewohner von Besžel/Ul Qoma große Angst, denn die Breach-Angehörigen verfügen über immense Macht und ihnen entgeht nichts was in den beiden Städten geschieht. Das mindeste, was im Roman einer Person die einen Breach begeht widerfährt, ist, dass sie in einen tiefen Schlaf versetzt wird, der andauert, bis der Delinquent des Landes verwiesen wurde. Doch das ist noch milde, denn für gewöhnlich verschwinden Breach-Missetäter spurlos und für immer.

Wie es sich für einen Miéville-Roman gehört, spielen politische Gruppierungen eine wichtige Rolle und es gibt viele gelungene Schilderungen von Besonderheiten unterschiedlicher Milieus. Also uffbasse: dieser Roman legt es darauf an, uns Leserinnen schwindlig zu machen, auch mit all diesen Vetracktheiten ein wenig Beklemmung einzuflößen. Wer sich darauf einlassen mag, kann ein Hirnsausen erleben, mit dem auch die  Bewohner der Doppelstadt ständig zu ringen haben dürften.

Der erste Teil des Romans ist in Besžel angesiedelt, und unter anderem begleiten wir Tydor Borlu zu einer Komitee-Sitzung , bei der entscheiden werden soll, ob man wegen des Mordes an der Unbekannten Breach beschwören soll. Wir lernen Besžel-Faschos von den ›True Citizens‹ und linksgesinnte Vereinigungs-Aktivisten kennen. Wir erleben, welche Umstände ausländische Besucher verursachen und erdulden müssen, und bestaunen den größten zwie-städtischen Grenzübergang Copula Hall.

Ul Qoma steht im Mittelpunkt des zweiten Teils, und ein wichtiger Schauplatz ist hier eine archäologische Grabungsstädte, auf der ein internationales Forscherteam arbeitet. Dramaturgischen Steigerungsschwung erlangt die Handlung durch Borlus Besucherstatus, und durch seine Zusammenarbeit als Berater für den Ul Qoma-Ermittler Quissim Dhatt. — Der Roman beginnt recht sachte und scheinbar krimi-gewöhnlich, steuert jedoch mit einem wundervollen Spannungsbogen auf einen chaotisch-fulminanten Höhepunkt zu.

Richtig gut finde ich Phantastik nicht etwa dann, wenn sie mir Wohlfühlträumerei ermöglicht, sondern wenn sie meinen Assoziationsmotor auf Touren bringt. Der Weltenbau und die Geschichte von »The City & The City« ermunterten mich zu aufregenden Gedankenspaziergängen über Phänomene zur Definition, Beachtung und Missachtung von Grenzen und Ausgrenzung, Wahrnehmung, kollektiver und individueller Identität und Erinnerung. Der Roman sensibilisiert, (wieder) darauf zu achten, was man selbst in seiner Umgebung ausblendet, oder was Mitmenschen, die man beobachtet, im öffentlichen Raum willentlich übersehen. Es ist erstaunlich und leicht verstörend zu bemerken, wie viele unsichtbare Barrieren unsere moderne Lebenswelten durchziehen, hinter denen fremdartig wirkende, Alte, Kranke, Beeinträchtigte und andere Menschen verschwinden. Achtet mal darauf, wo sich Vergrämungsmittel und Absperrungen in eurer Stadt nicht etwa gegen Tauben und anderes tierisches Ungeziefer, sondern gegen Obdachlose und sonstige unerwünschte Personengruppen richten. Wer wie ich in einer Service-Branche arbeitet, kennt vielleicht die sanfte Verpflichtung als Grüßaugust zu fungieren, und zu verinnerlichen, wer z. B. beim Kommen und Gehen in einem Empfangsbereich gegrüßt werden will, bei wem (wegen Morgenmuffeligkeit oder Dauertelefonieren mit Kopfhörern) ein Nicken reicht und wer sich tunlichst darum bemüht mit einer Empfangskraft gar nicht erst Blickkontakt aufzunehmen, weil das Zur-Kenntnis-Nehmen eines Mindestlohns-Dienstleistungs-Deppen bereits eine soziale Zumutung bedeutet.

Eine kürzere Version dieser Besprechung erschien ursprünglich im Mai 2009 in meinem alten Blog. Mittlerweile gibt es seit 2018 von »The City & The City« eine Verfilmung als vierteilige Mini-Serie für BBC Two und die ist (was mich ein wenig freudig überrascht) sogar im deutschen Fernsehen versendet worden und ist seit Februar 2019 auch als VOD und DVD erhältlich. Letzte Woche im Urlaub hab ich diese Adaption gesichtet und kann verkünden: durchaus gelungen und eine empfehlenswerte Erstkontakt-Möglichkeit für die seltsamen Welten von China Miéville. Freilich konnte vom sprachlich-semiotischen Chaos des Szenarios nur das für die Krimi-Handlung wichtige umgesetzt werden, und die Erzählung konzentriert sich vor allem auf das emotionelle Auf und Ab der Hauptfiguren, aber den atmosphärisch-thematischen Kern der Geschichte hat man gut einfangen und das komplexe räumliche, politische und kulturelle Durcheinanders der Städte hat man sehr geschickt und mit viel Liebe zum Detail veranschaulicht. Zudem freut mich, wie hier Schauspieler David Morrissey (bekannt als ›The Governor‹-Bösewicht in Staffel 3 und 4 von »The Walking Dead«) glänzt, zudem er sich in einer Fragerunde zur »The City & The City«-Verfilmung als begeisterter Miéville-Fan outet.

The City & The City_Episode 2_Miéville Cameo.png

Miéville-Cameo in Episode 2 der »The City & The City« Mini-Serie.

Die kluge SF-Kritikerin und Herausgeberin (»Clarkesworld Magazine« und »Emerald City« Fanzine) Cheryl Morgan bringt den Wert von China Miévilles Schöpfung in ihrem Blogeintrag zum Roman sehr gut auf den Punkt:

People will get themselves all mixed up over the presence or absence of fantastical elements {… whether it is actually a science fiction or fantasy book at all}. And that will be magnificently ironic because the book is all about our obsession with categorization. {…} While the book is obviously about multiculturalism, the same argument can be extended to issues such as gender, and even to fandom. {…} Ah well, maybe China will manage to get a few more people to think. {…} And obsession with categories is a dangerous thing.

Molo-Übersetzung:

Über das Vorhandensein oder Nichtvorhandensein von phantastischen Aspekten, {… und ob es sich bei dem Roman nun eigentlich überhaupt um Science Fiction oder um Fantasy handelt …} werden sich die Leute in Debatten verstricken. Das ist wunderbar ironisch, denn das Buch spricht die ganze Zeit über unsere Obsession was Kategorisierungen betrifft. {…} Obwohl sich das Buch offensichtlich mit Multikulturalismus auseinandersetzt, lässt sich sein Hauptanliegen auch auf solche Themen wie Geschlecht, ja sogar Fandom anwenden. {…} Nun ja, vielleicht schafft es China ja, mehr Leute zum Denken zu bringen. {…} Es ist gefährlich von Kategorisierungen besessen zu sein.


China Miéville: »The City & The City« (2009), 312 Seiten; Macmillan (gebundene UK-Ausgabe); Pan (UK-Taschenbuch 2011); Übersetzt von Eva Bauche-Eppers bei Bastei Lübbe (Deutsche Taschenbuch-Ausgabe 2010); Pandastorm DVD (BBC-Miniserie 2018, ca. 240 Minuten).

54 Fragen über Bücher und Literaturgeblogge

Ich bin mal voll die Sau und klaue einen Fragebogen, den die Heldinnen und Recken von »54books« (von denen ich einigen auf Twitter folge) für »mojoreads« beantwortet haben. Hab heut schon früh begonnen weiter meine Bude aufzuräumen, dann lang zu einer Wahnsinns-Compilation angezappelt und musste danach auch meinen Geist entrümpeln.


1. Was verbindet oder unterscheidet deine Rezensionen auf ›molochronik‹ & ›molochronik reloaded‹ von denen in klassischen Feuilletons?
— Ich muss mich nicht nach einer gewünschten Längenvorgabe ausrichten, kann machen, was ich will, schreiben wie ich will (oder wie es mir eben gelingt).

2. Wie entscheidest du, welche Titel du besprichst?
— Interesse, Laune, und ob ich mir den Titel leisten kann.

3. Schreibst du auch Verrisse oder schweigst du Bücher, die du nicht magst tot?
— Schreib auch Verrisse, achte aber darauf, dass ein Verriss Relevanz in sich birgt und nicht einfach nur Mießmach-Fun liefert.

4. Bekommst du ungefragt Bücher zugeschickt, wenn ja, in welchem Ausmaß?
— Höchstens als Überraschungs-Geschenk von lieben Menschen. Von Verlagen oder Agenturen unverlangt eingeschickte Bücher würde ich prinzipiell nicht besprechen.

5. Wer ist die Person, wer sind die Personen, deren Bücherempfehlungen du ohne Nachdenken annimmst?
— Ohne Nachdenken geht bei mir so wie gut gar nix. Aber es gibt eine Reihe von Leuz, deren Urteil ich vertraue.

6. Was ist dein liebstes Buch aller Zeiten?
— Möglicherweise der »The Scar« von China Miéville.

7. Was ist bislang dein Lieblingsbuch 2018?
{Guckt in seiner Goodreads-Jahresübersicht nach}: Womöglich »Kanaillien-Kapitalismus — Eine literarische Reise durch die Geschichte der freien Marktwirtschaft« von César Rendueles. Eine Buch gewordene Granate. Extrem gut lesbar und sehr fein holistisch gedacht und gefühlt. Bestätigt eine langfristige Grundannahme von mir, das wir nicht artgerecht gehalten werden vom Kack-Kapitalismus.

8. Was wäre dein Buchtipp für Ausgebrannte?
— Die vier klassischen Witzebild-Bände von F. K. Waechter bei Diogenes: »Wahrscheinlich guckt wieder kein Schwein« (1978); »Es lebe die Freihei«* (1981); »Männer auf verlorenem Posten« (1983); »Glückliche Stunde« (1986). Haben noch nie verfehlt, mich zu trösten und zum Schmunzeln zu bringen, wenn ich sehr niedergeschlagen bin.
* das fehlende ›t‹ ist kein Tippfehler.

9. Was war dein Lieblingsbuch als Kind?
— War als Kind zu unruhig um Bücher wirklich zu lesen, habe aber sehr gern im 24-bändigen großen Bertelsmann-Lexikon geblättert (12 Bände alphabethische Enzyklopädie, 12 Themen-Bände a la »Länder, Völker, Kontinente«, »Geschichte«, »Literatur«, »Technik«, »Naturwissenschaft«, »Flora und Fauna«) … vor allem wegen der Bilder, Risszeichnungen usw.

10. Dein Lieblingsbuch als Teen?
»Der Name der Rose« von Umberto Eco. Bis heut eins meiner Allzeit-Lieblingsbücher, und sicherlich der Roman, den ich am öftesten gelesen/gehört habe.

11. Was ist ein Kult-Buch, das dich kalt lässt?
— Da gibt’s einige, z.B. »On the Road« von Jack Kerouak, oder »Der kleine Prinz« von Antoine de Saint-Exupéry.

12. Wie viele Bücher besitzt du?
— Ca. 57,4 Meter.

13. Welches ist das am schönsten gestaltete Buch, das du besitzt?
»Codex Seraphinianus« von Luigi Serafini.

14. Was ist ein Klassiker?
— Kommt darauf an, von welchen oder wessen Klassikern wir sprechen, denn es gibt Klassiker der etablierten Deutungshoheits-Priester, Klassiker der Gegenkultur, vergessene Klassiker und und und (siehe auch Frage 17). Hochtrabend angesetzt: ein Klassiker ist im besten Falle ein Werk, dass sich über seine unmittelbare Zeitgenossenschaft und Zweckgebundenheit hinaus ein gerüttelt Maß an Relevanz bewahrt hat, sei es als Zeugnis der Vorstellungskraft, der Auffassungs- und Beobachtungsgabe, der sprachlichen oder künstlerischen Artistik, des gesellschaftlichen Engagements usw.

15. Wann hast du dein erstes E-Book gelesen?
— Ich glaub, mein erstes eBook war »L. A. Noir: The Collected Stoies« mit Geschichten von Megan Abbott, Lawrence Block, Joe R. Lansdale, Joyce Carol Oates, Francine Prose, Jonathan Santlofer, Duane Swierczynski und Andrew Vachss, herausgegeben von Jonathan Santlofer und mit einer Einleitung von Charles Ardai aus dem Jahr 2011 — da hab ich das wohl auch gelesen. Wahrscheinlich das Progressivste, was der Videospiele-Entwickler Rockstar je unter die Leuz gebracht hat.

16. Was war dein prägender Verlag?
— Ohne Zweifel der Haffmans Verlag in seiner ursprünglichen Form, mit seinem ›Magazin für jede Art von Literatur‹: »Der Rabe«.

17. Glaubst du an den Kanon?
— Wiederum (siehe Frage 17) erlaube ich mir die Gegenfrage: »Wessen Kanon?«. Freilich ›glaube‹ ich daran, dass es einen Bestand bedeutender, bemerkenswerter und relevanter Werke gibt, die man gelesen haben ›sollte‹, um ein besserer Leser, Schriftsteller oder einfach nur Mensch zu werden. Aber es ist sicherlich Blödsinn, unumstößlich und für alle Zeiten fix bestimmen zu wollen, aus welchen Werken dieser Zirkel sich genau zusammensetzen sollte, denn es ist auch Rücksicht zu nehmen auf die jeweils individuelle Lektüre-Wanderung eines Lesers, und welche Bücher wann für jemanden die förderlichste Seelen-, Verstandes- und Horizont-Erweiterung zu bewirken vermögen.

18. Was ist dein Lesegetränk?
— Was grad da ist um mich sitt zu machen.

19. In welcher Haltung liest du?
— Wach. Meistens sitzend, nicht ganz so oft liegend. Ab und zu auch gehend (vor allem, aber nicht nur, bei Hörbüchern).

20. Auf welchem Gerät liest du E-Books? Mit welcher App?
— iPad, überwiegend Kindle.

21. Lösen Lesebändchen Gefühle in dir aus?
— Anerkennungswertschätzung wegen der Nützlichkeit. Verzückungen überkommen mich erst bei Büchern, die zwei Lesebändchen haben (eins für den Haupttext, eins für den Anhang-Apparat).

22. Nutzt du Bibliotheken, wenn ja, welche?
— Die Bibliotheken meiner Stadt, also seit vielen Jahren der von Frankfurt am Main. Zentrale Stadtbücherei, Unibibliothek und wenn ich sonst an was nicht rannkomme Deutsche Nationalbibliothek. Nicht zu vergessen die Bestände digitaler Bibliotheken. Beispiel gefällig?

23. Was war deine gelungenste Rezension?
— Ich hab ein unentspanntes Verhältnis zu meinen eigenen Texten, bin aber durchaus Stolz auf mein zweiteiliges Portrait »Die wilden Welten von Matt Ruff« (Werksübersicht und Interview), sowie weiterer längerer Rezensionen, die ich für »Magira – Jahrbuch zur Fantasy« von 2003 bis 2010 geschrieben habe.

24. Hattest du schon mal einen Shitstorm, wenn ja, wofür?
— Nicht, dass ich mich erinnern kann.

26. Womit verdienst du dein Geld?
— Als Sicherheitsdienstleistung-Depp der Besucherkärtchen schreibt und Schranken-Knöpfchen drückt. Derzeit in Burnout-Auszeit.

27. Beschreibe das sich wandelnde Image von Literaturblogger*innen
— Die Frage überfordert mich. Ich kann höchstens die Gelegenheit nutzen meiner Sorge darüber Ausdruck zu verleihen, dass es eingedenk der aufmerksamkeitszerstreuenden Social-Media-Gehege, Selbstvermarktungs- und Ausbeutungs-Praktiken, Wohlgeneigtheits-Abhängigkeiten und allgemeiner Blödmaschinenhaftigkeit unserer Konsum-, Wegwerf- und Unterhaltungsgesellschaft nicht leichter geworden ist, den eigenen und allgemeinen Verfall entgegenzuwirken, oder dass diese Rahmenbedingungen für nervöse Kontemplation, rabiate Toleranz und exhibitionistische Introvertiertheit — wesentlichen Vorraussetzungen für hochwertigeres, offenes und gemeinschaftliches Denken und eben auch Babbeln über Literatur — abträglich sind.

28. Schreibe unzensiert die ersten zehn Autor*innen auf, die dir einfallen
— Ich nehm welche, die ich hier bei anderen Antworten noch nicht genannt habe: Neil Gaiman, Annie E. Proulx, Philip K. Dick, Zadie Smith, Neal Stephenson, Molly Crabapple, Thomas Pynchon, Terry Pratchett, Mervyn Peake, Laurie Penny.

29. Was ist für dich 2018 bedeutender: Zugänglichkeit der Kunst oder Autonomie der Kunst?
— Das ist ’ne Fangfrage, oder? Ich beantworte sie, wenn wir die derzeitigen gesellschaftlichen Krisen und Gräben überwunden haben und sich wieder angemessene Musenhaftigkeit eingefunden hat, um sich so einer Frage wirklich ungetrübt widmen zu können.

30. Hast du schon mal mit einer Rezension einem Buch zu spürbar mehr Erfolg verholfen?
— Da ich keine Einblicke in die Verkaufszahlen von Verlagen habe, und mich nicht um Klick- und Trackback-Schmarrn kümmere, ist es mir nicht möglich diese Frage zu beantworten. Ich habe im Lauf der Jahre allerdings einige Rückmeldungen bekommen, dass ausgerechnet ich Leuz den Weg zu bestimmten Büchern gewiesen habe und sie mir zum Teil extrem dankbar dafür sind (was mich sehr durcheinander bringt, weil ich verklemmter eitler Wicht mit Minderwertigkeitskomplex gehörig Probleme mit Komplimenten habe).

31. Besprichst du zu viele männlichen Autoren?
— Welcher Mann tut das nicht? Ich bemühe mich um Besserung.

32. Verdient man beim Bloggen an irgendeiner Stelle Geld?
{lacht prustend}

33. Wie bist du zu molochronik / molochronik reloaded gekommen?
— Zur ›molochronik‹ bin ich gekommen, weil meine damalige Partnerin antville entdeckt hat, und ich ihr (wie oftmals) bei dem Klugen, Schönen und Anregenden das sie unternahm, folgte. — Zu ›molochronik reloaded‹ bin ich erst vor kurzem gekommen, als ich im Zuge eines akuten Burnouts krankgeschrieben wurde (und zum Zeitpunkt, da ich dies schreibe, immer noch bin), und seit Jahren zum ersten mal wieder meine Kreativität produktiv fließt. Da die alte Tante antville leider inzwischen eine für mich ungeeignete Bedien- und Eingabeoberfläche hat, entschied ich mich für einen Neustart bei WordPress.

34. Wer und was bereichert dich im Internet?
— Zuviel.

35. Wer und was stiehlt dir im Internet die Zeit?
— Alles.

36. Welche Funktionen muss ein Internet-Shop für Bücher und E-Books haben, um für dich als Blogger*in interessant zu sein?
— Simpel: Die Bücher liefern zu können, die mich interessieren und die ich haben will, zu einem Preis, den ich mir leisten kann.

37. Welche Funktionen muss ein soziales Netzwerk rund um Bücher und E-Books haben, um für dich als Blogger*in interessant zu sein?
— Für Consulting verlange ich Gegenleistung, also beantworte ich diese Frage erst, wenn eine entsprechende Willensbekundung vorliegt. Grober Trailer: solange der Erwerb einer solchen Plattform vornehmlich auf Werbegeldern oder monetärer Verwertung von Teilnehmer-Daten gründet, kann sie nichts taugen, sondern nur Teil einer Fabrik zur Herstellung von Stupidität, Apathie und galoppierender Ignoranz sein. Und jede Art von Social Media braucht gute, fachkundige Moderation, und die kostet entweder Geld (»Wie macht man in der Buchbranche mit ambitionierten Projekten ein kleines Vermögen? Aaalso, man nehme ein großes Vermögen …«), bzw. verlangt Selbstausbeutung. Aber vielleicht verstellt mir mein pöser Hang zum Pessimismus die Sicht.

38. Zu welchem Shop oder zu welcher stationären Buchhandlung verlinkst du aktuell, wenn du ein Buch oder E-Book besprichst?
— Gar keinen.

39. Was ist deine Lieblingsbuchhandlung?
— Vor Ort: Terminal Entertainment für Comics und Graphic Novels; Karl Marx Buchhandlung für alles andere.

40. Wo kaufst du wirklich deine Bücher und E-Books? Bitte in der Reihenfolge der Frequentierung aufzählen.
— Ich schwacher Konsum-Zombie kauf bei Amazon, allerdings nur Sachen, die sonst zu kostspielig für mich sind (beispielsweise teure Sammelbände von Comics/Graphic Novels, oder ›Art of‹– und andere Pracht-Bildbände).

41. Kommst du aus einem Lesehaushalt?
— Mein Vater ist ein klassischer lesender Arbeiter, der seit ich mich erinnern kann, Krimis, Western, Sachbücher über Natur und fremde Länder und dergleichen ließt. Meine Mutter (im Lauf der Jahrzehnte Tausendsassarin in zig unterschiedlichen Jobs und Hausfrau und Mutter/Oma ist) hat die größte Sammlung an Kochbüchern aller erdenklichen Art, die ich je gesehen habe.

42. Wenn du Verwandte unter 18 hast, lesen diese?
— Soweit ich weiß nicht. Wenn dann nur für die Ausbildung oder den Job.

43. Geschätzte Lesezeit in Stunden pro Tag?
— Im Durchschnitt um die zwei bis vier Stunden. Oftmals lese ich nebenbei, während Musik oder Dokumentationen/Audiokommentare laufen.

44. Unterscheidest du heimlich zwischen gutem Bücher- und schlechtem Social-Media-Lesen?
— Nö, ich treffe diese Unterscheidung unverblümt ganz offen.

45. Liest du genug Bücher?
— Ich lese wahrscheinlich zu viel und sollte mehr aus dem Haus und unter Leuz. Auf jeden Fall lese seit vielen Jahren mehr als gut für mich ist.

46. Hast du in den letzten Jahren Probleme, dich auf Bücher bzw. überhaupt längere Texte zu konzentrieren?
— Kommt auf die Texte an. Bei umfangreicheren Büchern mach immer schon gern mal Pausen, auch längere.

47. Auf wem oder was liegt deine literarische Hoffnung?
— Ich leb derzeit alleine, also lieg ich auf niemanden. Ich habe aber in den letzten Jahren begonnen, mich vermehrt darum zu bemühen, Autorinnen zu lesen und z.B. die oben (siehe Frage 28) genannten Frauen haben meine Lektüren ungemein bereichert. Ich bewundere es, wie die jüngste Welle feministischen Schreibens verschiedenste extrem wichtige Impulse geschickt miteinander verflicht: Frust und Wut Ausdruck verleihen, Kritik an der Kaputt- und Niederträchtigkeit der patriarchalen Weltordnung üben (unter der auch Männer leiden), sich unverzagt für eine bessre Welt einsetzen, die von den Siegern geschriebene Historie korrigieren ect. pp. ff.. Ja, all das macht mir durchaus Hoffnung.

48. Welche Literatur-Preise sind noch relevant?
— Müsst ich länger nachdenken, aber ich achte nicht wirklich auf Literatur-Preise. Oh, doch! Ich lese gerne das kurzweilige Geschnatter, zu dem sich einige geistreiche Menschen während des Klagenfurter Wettlesens hinreissen lassen.

49. Sollte man, um Autor*in zu werden, an einem Literaturinstitut studieren?
— Wenn man sich in noch größere Gefahr begeben will, sich Stil und Denke zu versauen, als dies ohnehin schon der Fall ist: Ja.

50. Welche Monetarisierungsmöglichkeit für Blogs erscheint dir am passendsten und realistischsten?
{Grinst verlegen und zuckt die Schultern}

51. Gibt es Kontexte, in denen du nicht erzählst, dass du Blogger*in bist?
— Meistens: beim Einkaufen, wenn ich in ‘nem lecker Eis-, Halal-Baguette, Thai- oder Döner-Geschäft Essen bestelle usw..

52. Die besten drei Literaturblogs außer Deinem?
— Meine Blogs sind eh nicht sooo dolle. Hier aber drei Blogs die mir einfallen, die sehr interessante Ansätze verfolgen:

  • Auch wenn nirgendwo ›Blog‹ steht, wird »The Dark Mountain Project« (@darkmtn bei Twitter), soweit ich sehe, mit einer Blog-Obertfläche (ich glaub WordPress) betrieben und lässt sich auch so lesen und sogar kommentieren. Beispielsweise die Essay-Sammlung »Rewilding the Novel« ist ungemein spannend.
  • »The Untranslated« (@TheUntranslated bei twitter) kümmert sich um Literatur, die es (noch) nicht auf Englisch gibt, und fördert damit für mich immer wieder erstaunliche Gemmen zutage (eine der wenigen Seiten im Netz, wo ich etwas Kluges über meinen vergessenen Helden Giorgio Manganelli gefunden habe). Der oder die Betreiber*in pflegt z.B. das ergiebigste, zugänglichste und beständigste mir bekannte »Zettel’s Traum«-Leseprotokoll (nach der Übersetzung von David E. Wood). Was sagt das über die deutsche Blog-Landschaft (oder meine Kenntnis derselben)? — Die Art, wie z.B die »Zettel’s Traum lesen«, oder das vom Suhrkamp Verlag selbst angestoßene »schauerfeld« kläglich im Sande versickert sind, ist ein Musterbeispiel für die Verzagtheit, Diskussions-Unfähigkeit und allgemeine Befangenheit unserer Literatur-Szene.
  • Und langfristig am treuesten bin ich »Arts & Letters Daily«, quasi einer englischsprachigen Version des Perlentauchers. Ist aber, was wohl der Größe des Sprachraums geschuldet ist, eben deutlich ergiebiger für mich, als etwaige deutsche Seiten.

53. Liest du ein Feuilleton, wenn ja, welches?
— Ich les querbeet alle möglichen Feuilletons die ich in die Bratzen bekomme. Ich lese dabei oftmals kopfschüttelnd und/oder resignativ seufzend.

54. Was versuchst du, Lesenden in deinen Texten zu vermitteln?
— Abgesehen davon, dass ich seit über 30 Jarhen an einer eklektisch-extenzischen Großraumphantastik-Philosophie bossle? Freude am Lesen und ziellosem Erkunden und wonniglichem Sich-Verirren und -Wiederfinden. Mut machen zum In-Frage-Stellen und Überschreiten und Überbrücken von vermeintlich heiligen Grenzen zwischen U und E, realistisch und phantastisch. Und nicht sauer zu sein, wegen meiner notrischen Tippfehler-Schwäche und zugegeben verquast-überspannten Denke.