Mastodon Mappe: #PhantastikPromts DEZ 2023

Vor lauter Planlosigkeit heut am Sonntag damit entspannt, gleich alle 31 Tagesfragen von @hthomsenwrites Dezember-PhantastikPromts zu beantworten. Ich dachte, ich hole alle Fragen vom November nach. Egal!

1—Aktuelles Projekt.
Nix eigenes. Beknete als Texthebamme Übersetzung von #AlanMoore|s »#Jerusalem«, erscheint ca. in einem Jahr im Carcosa-Verlag. Eine Millionen Wörter. Extrem facettenreicher großer, visionärer Roman. Erz-Phantastik auf allen Ebenen: Sprache, Struktur, Weltenbau, Erzählhaltung. Dreifacher Augenblick (Inferno-Purgatorium-Paradies) der Ewigkeit mit den Northhampton-Boroughs als Snookertisch der Erzengel.

2—Schon eigenen Stil, eigene Sprache gefunden?
Nie wirklich Gedanken dazu gemacht. Ich suche ohne finden zu wollen. Großer Respekt für Wandlungsfähigkeit. Sprache ist Atem, Gesang, Melodie und Rhythmus, Bewegung. Heiliger Wittgenstein-Satz (in etwa): »Die Grenzen meiner Sprache, sind die Grenzen meiner Welt«.
Jede Geschichte, jeder Text gravitiert zu SEINER ›idealen Sprache‹. Wer mit Sprache arbeitet, sollte da entsprechende Mystik betreiben.

3—Liebste Person- & Zeitform?
Egal. Kommt auf den Text, die Erzählung an. Seh das handwerklich. Siehe Bauhaus-Maxime: »Form folgt Funktion«.

4—Baust du dich selbst in deine Geschichten ein?
Geht gar nicht anders. Alle Erzählungen, Texte sind immer auch Ich-Aussagen. Fragt sich halt, wie bewusst.

5—Schreibst du Lieber Kampf- oder Liebesszenen?
Egal. Beides reizvoll.

6—Wie viele Bücher der Stilrichtung, die du gerade schreibst, hast du bisher gelesen? Lieblinge?
Einiges. Sowas wie »Jerusalem« von Alan Moore ist eins meiner Lieblingsgefilde der Literatur. Gibt dafür den spielerischen Begriff ›Maximalliteratur‹, wenn mensch also eigentlich größenwahnsinniger Ambition folgt, DEN (menschlichen) KOSMOS in Prosa zu modeln. Auszuloten, zu WAS die Roman-Form fähig ist.

7—Mit Geschichten eher unterhalten oder zum Nachdenken anregen?
Fühle mich unwohl damit, dass zu einem Gegensatz aufzubrezeln. Finde es viel wichtiger, sich materielle Verortung seines Schreibens klar zu machen: für Geld oder nicht ist da sicherlich die wichtigste. Hat weitreichende Auswirkung darauf, mit welcher Haltung und Ambition mensch erzählt.

8—Wie würde deine Hauptfigur dich beschreiben, wenn sie ein Buch über dein Leben verfassen würde?
Frage zu komplex. Sorry.

9—Machen bei dir alle Figuren eine Entwicklung durch versus bleiben einige Figuren statisch:
Sehr gute Frage! Figuren sind die Argumente einer Erzählung. Man muss sich schon entscheiden, welche Argumente man tiefer behandelt; entsprechend haben die dann auch Dynamik, Entwicklung.
Und: Dialektik is a b*tch! Siehe Joker-Batman-Superkurzmetapher in »The Dark Knight«: »That’s what happens, when an unstoppable force meets an immovable object« für den ewigen Kampf zwischen Licht und Finsternis, Ordnung und Chaos, The Beatles und Rolling Stones, Sloterdijk und Žižek, and so on and so on.

10—Schockierende Szenen! Horror! Gibt’s sowas bei dir, und wie gehst du die an?
Ich komme unter anderem vom Grauen, dem Ekel, der Faszination für die dunklen, cthonischen Aspekte der Natur und des Seins, dem Verspeisen und Verspeist-Werden. Wichtig für mich, immer wieder mal persönliche Relevanz-Frage stellen: warum will ich das (Thema, Gefühl, Problem, Dilemma, Paradox, Novum, Numen, Quell der Liebe, Quell des Zorns ect.) thematisieren? Vertrauen haben, dass Leser eigene Fetischismen und Tabus, Traumata und Fixierungen teilen.

11—Umgangssprachliche Formen, ja oder nein?
Kommt auf den Text an. Gehört zum Werkzeugkasten. Interviews oder Gesprächsaufzeichnungen transkribieren ist da eine feine Übung.

12—Schon mal »Du bist Autor?! Schrieb doch mal was zum Thema XYZ!« gehört und beherzigt?
Früher im Follow-Umfeld und bei anderen Kooperations-Aktionen desöfteren.

13—Eignung eigener Sache für Verfilmung?
Jupp. Kommt halt auf Umsetzung an. Transponieren lässt sich grundsätzlich alles.

14—Bergen deine Geschichten Rätsel, die sich erst beim Schreiben ergeben und beim Schreiben gelöst werden?
Ein markanter Aspekt des Schreibens kann genau darin bestehen, dieser Dynamik zu folgen: Rätsel tritt auf, Grübeln, Rätsel lösen oder nicht lösen. Gibt verschiedene Arten von und Funktionen für Rätsel. Auflösbarkeit ist keine notwendig Eigenschaft für ein Rätsel als Gestaltungsmittel. Siehe Dilemma, Mysterium.

15—Schon mal was nicht zu Ende gelesen wegen Stil, obwohl Inhalt reizvoll ist?
Oft. Reibe mich diesbezüglich seit Jahrzehnten z.B. an Thomas Mann. Der Kerl war nicht blöd oder verglichen mit anderen !Geniiiies! kein monströs-abstoßendes Oberarschloch, aber seine Sprache kommt mir frustrierend schnell mal in die falsche Röhre. Hab’s z.B. bis zur Hälfte in den zweiten Band der »Joseph-Quattro« geschafft (BTW: waschechte Fantasy; sollte mal jemand in Sammelschau in Beziehung setzen mit Peake, Tolkien und Niebelschütz).

16—Schon mal am #NoNoWriMo teilgenommen?
Nein. Hab deswegen auch Minderwertigkeits-Zuckungen. Respekt allen, die das mal durchgezogen haben.

17—›Symbolische‹ Techniken, ja oder nein?
Heikel, allein schon wegen Begriff ›symbolisch‹. Gemeint ist m.E. wohl, welcher Analogie-Kultur oder -Struktur mensch sich für eine bestimmte Erzählung bedient. Beispiel: eine Art Genres zu betrachten — Unterschiede und Verwandtschaften zu erkennen — ist, ihre jeweilige Symbol-Handhabung zu studieren. Siehe Unterschied und Verwandtschaften von symbolischer Verknüpfungs- und Zuweisungs-Praxis bei Märchen und Thriller, Science-Fiction und Bürgerfamiliendrama, Stummfilm-Spalstik und Dadaismus.

18—Was wäre ein passender Signature-Drink deiner Charaktere?
Kommt auf die Figur an. Da sollte von Milch über Scotch bis hin zu Blut und Amygdala-Schweiß und allem dazwischen alles möglich, oder? Ich sach nur: Slake-Moth in »Perdido Street Station« von China Miéville.

19—Was sollte eine perfekte Eröffnungsszene beeinhalten?
Kommt auf den Stoff, den Text an. Gibt z.B. großen Unterschied zwischen in-medias-res-Äktschn und holistisch-lyrischem Panorama.

20—Sequel schreiben bei großen Erfolg, obwohl Handlung abgeschlossen ist?
Tendenziell nein. Aber never say never. Ist aber eh eine Frage, die weit von dem weg ist, wo es meine Interessen hinzieht.

21—Vorbildhaftes Buch, das als Ideal dient?
Einige. Viele! Wichtig: es gibt überall Gemmen, es gibt überall Mist.
Harte Liebe einerseits für Maximalliteratur, aber auch wirkmächtige, kleine Formen. Ich mag es, wenn sich z.B. Romanform streckt und größenwahnsinnig, proteisch, promethisch, sphinxisch ist. Äktschn mit Tiefgang halt, Weltfern-Hautnahes. Zugängliche Hermeneutik. Siehe Egon Friedell über Dante: seine »Göttliche Komödie« ist zugleich Enzyklopädie (Wissen), Predigt (Relevanz) und dramatisches Epos (Gaudi).

22—Wie kam es zum aktuellen Projekt?
Texthebamme für deutsche Fassung »Jerusalem« von Alan Moore, weil ich von Hannes Riffel für den Carcosa-Verlag angesprochen wurde. Hab mit ihm schon sehr gerne Hellboy- und Ted-Chiang-Kurzgeschichten gemacht und alte Übersetzung von Delaynys »Nimmèrÿa« beknetet. Ich mach nur, worauf ich wirklich Bock hab. Bin nicht auf’s Geld angewiesen. Hab nen Dienstleistungs-Brotjob.

23—Über welchen Zeitraum spannen sich die Ereignisse Deiner Geschichte?
Aaalso, Übersetzung von Alan Moores »Jerusalem« geht einmal durch die Ewigkeit (alter Mann und seine Enkelin laufen in Überwelt konkret von Anfang zum Ende der Zeit). Mehr ist nicht möglich.

24—Wird in deiner Geschichte Weihnachten gefeiert?
Ach Goddele. Was ne Frage. Egal!

25—Hat Vorgeschichte deiner Hauptfigur Prequel-Potential?
Alle Figuren haben dieses Potential.

26—Welche 3 Romanfiguren haben Dich bisher am meisten beeindruckt?
• Winston Smith: »1984« von Orwell als Jung-Teen entdeckt. Erste mal, daß ich Dilemma-Lebensgefühl einer Figur teilte;
• Andy Gage: Grund-Dilemma »Das Böse anerkennen, ohne sich von ihm anstecken zu lassen« hat Matt Ruff in »Set This House In Order« doll gestaltet;
• Tiffany Aching oder Granny Weatherwax von Pratchett. Meine Art von Stoizismus. Grad weil ich ehr Typ Magrat/Rincewind bin.

27—Weichenwerk-Dilemma! Was würde Hauptfigur retten: Ganze Stadt oder einen Freund?
Egal. Kommt auf die Geschichte an. Potentiell doofe (sprich: unagnehme) Frage, aber so sind halt Dilemmas. Keine Lösung, nur unterschiedliche Arten sich dazu zu verhalten. Einen (hohen) Preis zahlt man so oder so. Kontext! Welche Stadt? Welchen Freund?

28—Erklärung der Motivation von Antagonist wichtig oder nicht?
Tendenziell ja … WENN (Ziel)Konflikt(e) für die Geschichte wichtig und personalisiert ist(sind).

29—Grundstimmung deines Romans in fünf oder weniger Worten:
Bin derzeit Übersetzungs-Trapeznetz für Alan Moores »Jerusalem«. Aaalso: Proletarisch, magisch, cornukopisch, verspielt, emphatisch.

30—Was würde dein Antagonist an sich selbst verändern wollen?
Frage in meinem Fall leider vergeblich. Wer will da was an wem verändern?

31—Was würden Hauptfiguren nächstes Jahr gern anders machen wollen?
Ähnlich verzwickt wie Frage 30.

ENDE.

Was für ne Gaudi. Hoff, ihr habt auch was davon.

Jetzt erstmal ein Tässchen Kuchen.

Kleine Etüde

Sprungbrett: »Waren sind verzauberte Menschen« — Alexander Kluge interpretiert Marx.†

Flug: Plötzlich haben alle über Nacht die Fähigkeit, beim Berühren einer Ware die gesamte Lieferkette an Leib und Seele zu spüren. Leid, Freude, Apathie, Engagement, Hoffnung, Fatalismus jedes einzelnen Menschen, der an der Produktion beteiligt war — sowie auch all der Menschen, die mit der Entsorgung des Mülls, den die Ware abwirft oder zu der sie selbst mal wird zu tun haben. Keine zehn Jahre später war der Kapitalismus Geschichte. Am schlimmsten war die Welle an schweren Kreislaufkollern, Herzinfarkten, Schlaganfällen und Nervenzusammenbrüchen, als Leuz sich in ihre frisch gekauften Autos gesetzt haben. SUVs und Teslas hat praktisch kaum jemand überlebt. Diskonterkunden wurden zu Stöhn- und Jammer-Chören, in den Modeketten rannten die Leuz panisch kreischend und nackt aus den Anprobekabinen ins Freie. Reisende in Billigfliegern trafen fast schon als Mumie oder zum Blob mutiert an ihren Zielorten ein.

† Quelle: Alexander Kluge »Nachrichten aus der ideologischen Antike. Marx – Eisenstein – Das Kapital«, filmedition suhrkamp, 2008. Merci an Vermion für einen Hinweis zur Verbesserung (statt nur ›spüren‹ genauer ›Leib und Seele‹ ergänzt).

Beste Bücher 2022 #TopTenBooks2022

Einleitung: Wie schon bei #TopTenMovies2022 geht es nicht um aktuellen Kram, sondern was ich letztes Jahr genossen habe. Plätze 10 bis 4 gelistet in Lesereihenfolge, Plätze 3 bis 1 aber nach reiflicher Überlegung, was ich richtig gut gemacht, gesellschaftlich relevant und für persönliches Wohlbefinden bzw. Wachstum förderlich fand.

Vorweg: Habe 89 Bücher 2022 gelesen. Fünf mal ›honorable mentions‹
• Japan-Doppelpackung
—Joseph Kreiner (Hrsg.): »Geschichte Japans«
—Christopher Harding: »Japan Story: In Search of a Nation, 1850 to Present«
• Nicole Mayer-Ahuja & Oliver Nachtwey (Hrsg.): »Verkannte Leistungsträger:innen«
• Judith C. Vogt & Christian Vogt: »Schildmaid – Das Lied der Skaldin«
• Sarah Kendzior: »They Knew: How a Culture of Conspiracy Keeps America Complacent«
• Alessandra Reß: »Spielende Götter«

PLATZ 10 William Gibson: »The Perpherial« (Penguin, 2014)
Vor Jahren begonnen und flott fertig geschmökert, um mir von Amazon-TV-Serie Stimmung nicht vermiesen zu lassen. Dolle Therapie angesichts Zivilisatzionszusammenbruch. Fast ein Märchen.

PLATZ 9 Patricia Eckermann / @feireficia: »Elektro Krause« (Trendition, 2021)
Kein Gramm Fett, lustig, spannend, locker. Ich der Serien-Skeptiker trau mich sagen: Gerne mehr.
Doofes aber ehrlich gemeintes Komplliment: fänd doll, wenn das mit dem Geschick von z.B. »Der Tatortreiniger« fürs TV verfilmt werden würde.
Bonus: #Cannabis-Verherrlichung mit Schrottplatz-Künstlerin.

PLATZ 8 Jan Potocki: »Die Handschrift von Saragossa oder die Abenteuer in der Sierra Morena« (1810; Übersetzung: Werner Creutziger; Haffmans bei Zweitausendeins, 2000)
Klarer Fall, daß olle Klassiker von Annodunnemal gern mal zeigen, wie waghalsig aber zugänglich durchgeknallt die Romanform sein kann. Verschachtelt, elegant, abenteuerlich, wunderbar verfizzelt, sprachlich Kraft doller Übersetzung berauschend, und Dank ausführlichem Glossar lehrreich.

PLATZ 7 China Miéville: »A Spectre Haunting. On The Communist Manifesto« (Head of Zeus, 2022)
Vielleicht bester Einstieg, um sich zu orientieren, warum des ganze Kapitalismus-Kritik-Gedöns a la Marx und Engels heut noch mindestens so relevant ist wie 1848, als »Das Kommunistische Manifest« erschien.
Großartige Analyse, historische Einordnung und Anregung für jetzt, z.B. mit #LerntKlügerHassen und #LerntKlügerLieben. Spannend wie Krimi.
Sollte es auf Deutsch geben.

PLATZ 6 Bernt Engelmann: »Wir Untertanen« & »Einig gegen Recht und Freiheit« (Steidl 1974, 1975)
Super-Twitter-Empfehlung von Henscheck auf Frage, ob es sowas wie Howard Zinn »A Peoples History of the United States« auch bei uns gibt.
Lohnt sich allein schon wegen der ausführlichen Großmetaphern, wenn z.B. Dreissigjähriger Krieg runtergebrochen wird »konkurrierende Gangster-Banden bekämpfen sich in einer Großstadt«.
Macht zornig, auf die gute Art.
Vergriffen? Schande!

PLATZ 5 Sally Rooney: »Normale Menschen« (2018; Übersetzung: Zoë Beck; btb, 2021)
Realismus bietet extrem heftige Phantastik, wenn sie, wie hier, z.B. wirkmächtig zeigt, daß allein so etwas wie »Wer bin ich? Was fühle ich? Was will ich?« von Vorstellungen und Konstruktionen abhängt, erst recht, wenn das eigene Innenleben sich mit heftiger Wahrnehmung anderer Menschen mischt. Zudem von einer sprachlichen Kraft und Präzision (auch auf Deutsch), wie ich sie selten erlebe.

PLATZ 4 Mariana Enríquez: »Was wir im Feuer verloren« (2016; Übersetzung: Kristen Brandt; Ullstein, 2017)
Seit Burnout 2018 wurde guter, nennt es ruhig #ElevatedHorror, wieder wichtiger für mich. Fühle mich verstanden und getröstet von Alpträumen. Die zwölf Geschichten dieser Sammlung bringen das Unheimliche und Monströse unserer Zeit gekonnt an’s Licht. Enthält sogar eine waschechte Cthulhu-Mythos-Story. Freu mich schon sehr auf baldige Lektüre von Enriquez’s fetten Roman.

BRONZE — PLATZ 3 Doppelpack Brian Attebery: »Stories About Stories« / »How Fantasy Works« (Oxford University Press, 2013, 2022)
Entdeckt über goiles Joseph-Campbell-#Monomythos-Bashing von Maggie Mae Fish bei youtube.
Pflichtlektüre für alle, die sich für #ProgressivePhantastik interessieren oder damit zu tun haben (wollen).
Sollte es auf Deutsch geben. Würd ich gern übersetzen; siehe meine »#Fantasy. Was sie leistet«-Notizen.

SILBER — PLATZ 2 Wu Ming: »54« (2002; Übersetzung: Klaus-Peter Arnold; Assoziation A, 2015)
Mit nix sonst derart umfängliche Gaudi beim Lesen erlebt dieses Jahr: gelacht, gejohlt, geseufzt, geweint, gestaunt. Süffig, berührend, haarsträubend, ulkig, empörend, zart, hart, spannend, clever, elegant, ruppig. Großes Kompliment für Übersetzung von Klaus-Peter Arnold.
SOWAS, aber als Fantasy, quasi Spaghetti Fantasy, würd ich gern zustandebringen.

GOLD — PLATZ 1 Émile Bravo: »Spirou & Fantasio Spezial Nr. 8: Portrait des Helden als junger Tor« und »Spirou oder: Die Hoffnung 1-4« (2008, 2018-2022; Übersetzung: Ulrich Pröfrock; Carlsen Comics, 2009, 2018-2022)
Dank Hinweis-Tröt von Genosse Frank Böhmert geschnallt, daß es zu »Held als junger Tor« noch 4-teilige Fortsetzung gibt. Émile Bravo ist wahrhaft ein Zauberer der Menschlichkeit angesichts finsterer Themen … für Kinder!
Geschichtenerzähler:innen, lernt von diesem Comic!

Beste Filme 2022 #TopTenMovies2022

Einleitung: Geht nicht um aktuelles, sondern was ich zum ersten Mal erlebt habe. Plätze zehn bis vier sind chronologisch danach, wann ich die im Lauf des vergangenen Jahres gesehen hab, drei bis eins aber sind Favoriten nach reiflicher Überlegung für wie gut gemacht ich sie halt, was sie ideologisch, zeitgenossenschaftlich an Relevanz hergeben und wie wohltuend sie für mich ganz persönlich waren.

Vorweg: Habe 80 Filme 2022 geguckt, davon 69 Erstsichtungen. Fünf mal ›honorable mentions‹.
»One Cut Of The Dead«: Doller Zombie-Spaß
»Nightmare Alley«: Elegante Tragödie
»The Myth Of The American Sleepover«: Sternschnuppenwunder
»Interceptor«: Grad aus uff die Fresse
»Ruben Brandt Collector«: Kunstvolle Psychedelic-Zeichentrick-Gaudi

PLATZ 10: Würde mich zwar durchaus als Matrix-Depperl bezeichnen, aber daß mir draufgesetzter Teil vier DERART gut gefallen würde, hab ich beim besten Willen nicht erwartet. Prinzipiell goil: »The Matrix Resurrections« wuppt trotz paar Längen in EINEM Film soviel Dialektik wie Teil zwei und drei zusammen. Bonus für dolle Zwischendrinn- und vor allem End-Twist, sowie »Brass Against the Machine feat. Sophia Urista« als Abspann-Song.

»The Matrix Resurrections«-Standbild: Neo in der Wanne mit Gummiente auf’m Kopf.
Neo in der Badewanne mit Quitescheentchen auf’m Kopf war unser aller Pandemie-Maskottchen.

PLATZ 9: Tragisch-grimmig, ruhig, bedrückend, poetisch, audio-visuell prächtig bis hin zum Wachtraum. »The Northman« zeigt wundervoll wie Kacke ›traditionelle‹ Krieger-Gesellschaften — mit Sklaverei und Raubzügen — waren. Wenig Platz für zart-menschliches. Exzellentes Ensemble, vor allem Kidman und Defoe. Ein paar brutale, blutreiche Spitzen und ab und zu SEHR trocken-schwarzer Humor. Passt zur plausiblen Darstellung einer von Traumatisierten bevölkert Welt.

»The Northman«-Standbild: Björk als schicksalsstrippenziehende Priesterinn im Lande der Rus in niedergebranntem Heiligtum.
Björk als schicksalsstrippenziehende Priesterin in niedergebranntem Tempel im Lande der Rus.

PLATZ 8: Für mich ein perfekter Film (soweit man das für möglich hält). ENDLICH wurde mit »Everything Everywhere All At Once« die Herausforderung ›zeitgenössischer Magischer Realismus‹ aufgenommen, die Kaufmann, Gondry, Jonze, Clooney vor ca. 20 Jahren vorgelegt haben. Mit der richtigen Geschichte sind auch Gespräche zwischen Steinen ergreifend. Glücklich erschöpft vor lauter Lachen, Johlen, Staunen. Und endlich wieder mal richtig geweint.

»Everything Everywhere All At Once«-Standbild: Mama- und Tochter-Stein lachen sich scheck.
Mama- und Tochter-Stein lachen sich scheckig.

PLATZ 7: Alex Garland hält sein Niveau. »Men« bietet surreal-lyrischen Folk-Horror der sich richtig fein Zeit lässt, Stille zelebriert und zumindest für mich sehr tröstlich wirkt. Jessie Buckley stellt sehr schön dar, wie es ist angeknackst und verstört zu sein hinter sich lassen zu wollen. Und ich feiere ab, daß Rory Kinnear‎ endlich mal vollumfänglich als Hauptfigur(en) glänzen darf, statt ewig nur Nebendarsteller zu sein. Zudem sehr feine atmosphärische Mukke von Ben Salisbury und Geoff Barrow.

»Men«-Standbild. Jessie Buckley allein auf einer Dorfstraße in der Nacht, vor ihr die Milchstraße.
Jessey Buckley nachts auf der Dorfstraße, vor ihr die Milchstraße.

PLATZ 6: Hab ja erst verspätet aber dann extrem begeistert Cartoon Saloon entdeckt. Extra aus Frankreich die Blu Ray von »WolfWalkers« bestellt. Gibt derzeit niemand, der so schön und mächtig stilisiert. Irre schöne, lustige, abenteuerliche muntere, herzergreifende Gerade-Linien-Zivilisation versus Schnurgel-Kurven-Wildnis-Geschichte. Bonus: Aurora-Lied »Running With The Wolves«.

»WolfWalkers«-Standbild: Mebh Óg MacTíre klaut den Holzhackern Fressalien unter der Nase weg.
Mebh klaut den Holzhackern Fressalien unter der Nase weg.

PLATZ 5: Verstört-betört angefixt von »The Outside«-Folge von »Guillermo del Toro’s Cabinet of Curiosities« chronologisch rückwärts durch Œvre von Ana Lily Amirpour gewurschtelt und küre »A Girl Walks Home Alone At Night« zu meinem bisherigen Favoriten von ihr. Ab jetzt gilt: Vampirfilme ohne Katze taugen nix. Musik und Songs laufen seit Sichtung bei mir rauf und runter.

»A Girl Walks Home Alone At Night«-Standbild: Sheila Vand als Vampirin mit Masuka dem Katzi.
Sheila Vand als Vampirin mit Katzi Masuka.

PLATZ 4: Auch Rian Johnson liefert weiterhin Güte. »Glass Onion. A Knive’s Out Mystery« ist genauso ein feiner Krimi wie sein Vorgänger, aber dabei noch ne ganze Ecke (im Guten) dööferer, alberner, lustiger. Immer schön, dabei zu sein, wenn so Promi-Schauspieler*innen zusammenkommen und richtig Gaudi bei Arbeit haben, vor allem, wenn’se Sachen quer zu ihrem Image machen. Inbegriff vong Gute-Laune-Film.

»Glass Onion. A Knive’s Out Mystery«-Standbild. Daniel Craig prüft als Benoit Blanc Projektil-Linie umgeben von kitschigen Glass-Skulpturen.
Benoit Blanc prüft Projektilflugbahn umgeben von kitschigen Glass-Skulpturen.

Bronze — PLATZ 3: Hab kaum etwas, womit ich »Die Familie mit dem umgekehrten Düsenantieb« (1984 ) vergleichen kann. Ein tragik-saukomisches Reinigungs-Ritual von Film. Bin extrem beeindruckt vom anarchischen Wumms. Macht mächtig Laune alles kaputt zu haun (und dann wieder aufzuräumen).

»Die Familie mit dem umgekehrten Düsenantrieb«-Standbild: Papa, Mama, Sohn, Tochter und Opi nehmen die Bude auseinander.
Papa, Mama, Sohn, Tochter und Opi nehmen die Bude auseinander.

Silber — PLATZ 2: Sooo der Hipster bin ich eh nicht, und somit feiere auch ich trotz aller fragwürdiger mythologischer Fähnchenschwenk-Überhöhungen »RRR« als Filmkunstfrischzellenkur. Hat einfach alles: Äktschn, Freundschaft, Herz, Komik, Tragik, Tanz, Gesang, Viecher, Wasser, Feuer. Quasi die perfekte Mischung aus »Total total verrückte Welt« und »Lawrence von Arabien«, das Musical. Bonus: Ray Stevenson als erzböser Kolonialfiesling.

»RRR«-Standbild: Bheem und Raju befreien Indien mit Hilfe von Tanz.
Bheem und Raju befreien Indien mit Hilfe von Tanz.

Gold — PLATZ 1: Innerhalb weniger Tage mehrmals geguckt und seit dem noch ein paar mal. Von keinem Film fühlte ich mich dieses Jahr so gut verstanden wie von Jordan Peeles drittem Werk »Nope«. Die ruhige Kraft von OJ. Wie Emerald tanzt. Angels unbeugsamer Optimismus. Die Pferde. Die Wolken. Die Mukke. Das Grauen. Die Schönheit.

»Nope«-Standbild: Nicht artgerecht behandelter Affe gibt nicht artgerecht behandelten Kinder-Star einen Soli-Fist-Bump.
Nicht artgerecht gehaltener Affe gibt nicht-artgerecht behandeltem Kinder-Star einen Soli-Fist-Bump.

Material zum Kapieren. »Fantasy. Was sie leistet«, nach Brian Attebery

Vorbemerkung Molo: Auf »Fantasy. How It Works« (2022) von Brian Attebery wurde ich aufmerksam durch die Video-Essays »Joseph Cambell’s Myth of the Monomyth | Part 1« (Juli 2022) und »Joseph Campbell and the N@zis | Part 2« (Oktober 2022) von Maggie Mae Fish. Über sie bin ich vor ca. drei Jahren gestolpert, als mir die youtube-Algos ihren hervorragenden Beitrag zu David Finchers »Fight Club« in die Zeitleiste spülten. Maggie gehört seitdem zu meinen liebsten youtuber*innen. Ich liebe ihre Sing-Sang-Sprechweise. Belabert und bequengelt mich hier in den Kommis, oder drüben bei Twitter oder Mastodon, damit ich mal zu Pötte komme, eine aktuelle Empfehlungsliste guter youtube-Macher*innen zu liefern.

Tom Orgel (von T. S. Orgel) bin ich zu Dank verpfllichtet. Die mutige Offenheit, mit der er seine Verständnisprobleme unter einem schnell rausgeballerten Tweet von mir mit Übersetzungsnotizen zweier Begriffs-Definition aus Atteberys Buch teilte, spornte mich zu diesem Blogeintrag an.

Ich hoffe, hier nützliches Material zum Kapieren für alle zu bieten, die sich wie ich für #ProgressivePhantastik interessieren und engagieren. Grüße in die Twitter-Bubble 😘✊.
Was ihr nun lest, ist eine zum Teil ziemlich freie, stichpunktartige Übersetzung der »Introduction: Speaking of Fantasy« von Brian Attebery. In {geschwungenen Klammern und kleiner Schrift} mache ich darauf aufmerksam, wenn ich mich selbst zur Klärung von Details in den Text einschalte. Zu den Autor*innen, mit denen sich Attebery in seinem Buch am ausführlich beschäftigt, und die in meinen Notizen nicht genannt werden, gehören Ursula K. Le Guin, J. R. R. Tolkien, C. S. Lewis und George MacDonald.
Cheers!
Euer molosovsky

Einleitung: Über Fantasy reden

Fantasy hat immer wieder mit denselben Herausforderungen zu ringen, egal wann sie geschrieben wurde:
—sich über konventionelle Auffassung dessen, was als ›realistisch‹ gilt ist hinauszubegeben;
—Zusammenhänge nachzuvollziehen, die einen Bogen um das Alltagsdenken machen;
—Lügen zu erzählen, die Wahrheit aufklingen lassen.

Das Buch beschäftigt sich mit den beiden Fragen:
1) Wie schafft Fantasy Bedeutung? — Wie kann eine Form des Geschichtenerzählens, die von den Naturgesetzen abweicht und historische Fakten zurückweist, dennoch eine Erkenntnisquelle zum Wesen des Menschen und den Lauf der Welt sein?
2) Was macht Fantasy? — Was für eine soziale, politische, kulturelle, intellektuelle Arbeit leistet Fantasy in der Welt der Leser?

Die einzelnen Aspekte eines phantastischen Weltenbaus und des phantastischen Erzählens lassen sich nicht voneinander trennen. => Mikhail Bakhtin-Konzept ›Chronotop‹: Erzählwelten, durch Geschichten aufgespannte Räume, in denen Kausalität, Figuren und Bedeutung unentwirrbar miteinander verwoben sind.

Erzählungen mit realistischen Schauplätzen und Handlungen {plots} werden stets stärker von Konventionen und Genre-Bedingungen geformt, als es den Anschein hat.

Realistische Erzählungen vom Standpunkt der Fantasy aus zu betrachten kann die Aufmerksamkeit dafür schärfen, welche Entscheidungen zur Illusion betragen, daß irgendeine Geschichte die Wirklichkeit angemessen darbietet oder wiedergibt. Bei realistischer Literatur wird viel Mühe darauf verwendet, die Konstruiertheit von Situationen und Handlungs-Mechanismen zu verbergen.

Übersicht zu den einzelnen Kapiteln

Die ersten beiden Kapitel spiegeln sich ineinander.

Kapitel eins »Wie Fantasy Bedeutung schafft. Die Gestalt der Wahrheit« fragt, inwiefern Fantasy wahr sein kann.
1) Mythisch: Durch Anleihen bei überlieferten Erzählungen, mit denen Menschen sich schon seit langer Zeit die Welt und sich selbst erklären;
2) Metaphorisch: Durch Übertragung und Verbindung von Sprachbildern;
3) Strukturell: Durch die Art, wie die einzelnen Bestandteile einer ausgedachten Welt und die in ihr angesiedelte Erzählung zum Ausdruck kommen.

Kapitel zwei »Realismus und die Struktur von Fantasy. Die Familiengeschichte« untersucht die Kunstgriffe einer Spielart des Realismus. — Ausführliche Analyse von Edward Eagers »Half Magic« (1954). Selbst Fiktionen, die möglichst realistisch sein wollen, enthalten magisches Denken und Märchen-Strukturen. Das ist kein Makel, sondern Voraussetzung zur Erzeugung eines Wirklichkeits-Effekts. 

Kapitel drei »Nachbarn, Mythen und Fantasy« handelt von den mythischen Quellen der Fantasy. — Wie stellt zeitgenössische Fantasy das Aufeinandertreffen verschiedener mythischer Systeme dar? => Helene Wecker »Golem und Dschinn« (2013).

Kapitel vier »Wenn nicht Konflikt, was dann? Metaphern für narrative Anliegen« konzentriert sich auf Erzähl-Dynamiken, die Art und Weise wie Geschichten vorangetrieben werden, und wie Aufmerksamkeit von Lesern gebunden wird.

Kapitel fünf »Eine mitochondrische Theorie der Literatur. Fantasy und Intertextualität« bietet anhand der Science Fiction und zweier Metaphern Vorschläge, um zu verstehen, wie verschiedene Texte miteinander in Beziehung treten:
1) Literatur als Lesezirkel: soziale Struktur zum Teilen von (Lese)Erfahrungen und zum Austausch von Erkenntnissen und Meinungen.
2) Mitochondrien: Texte als Körperzellen, die beim Stoffwechsel ihre Kraft von anderen Organismen beziehen, die sie in sich aufgenommen haben.

Kapitel sechs »Dystopien YANGendliche und Utopien für YINGendliche« verlegt Schwerpunkt von der Semiotik der Fantasy hin zu ihren gesellschaftlichen Funktionen. — Zur kulturellen Arbeit, die Fantasy leistet, gehört, uns zu sagen, daß die Welt nicht so bleiben muss, wie sie ist. => Mike Levy: »Teenager lieben Dystopien, weil sie in einer leben«.

Kapitel sieben »Soziales Geschlecht und Fantasy. Zur Anwendbarkeit von Märchen« behandelt Bearbeitungen von Märchen, vor allem durch männliche Autoren. — Es gibt viele Untersuchen zur Wirkung von Märchen auf Mädchen und Frauen, aber nur wenig z.B. darüber, wie Märchen dabei helfen können, um maskuline Ideale zu erforschen und zu überarbeiten. — Zeigt anhand von Beispielen bei Neil Gaiman, Michael Cunningham und H. C. Andersen, wie Märchen-Motive dazu dienen können bösartige männliche Verhaltensmuster offenzulegen und zu versuchen gutartigere Geschlechterrollenvorbilder zu entwickeln.

Kapitel acht »Die Politik der Fantasy« kehrt zur eigentlichen Fantasy zurück und geht der Frage nach, was an der Form selbst schon politisch ist. — Ist Fantasy zwangsläufig reaktionär, oder können die Verzerrungen und Umformungen der Welt durch die Fantasy auch Anregungen für progressive und grundlegende {radical} Politik liefern?

Kapitel neun »Timor mortis conturbat me {Die Angst vor dem Tod bestürzt mich}. Fantasy und Angst« zeigt, wie Fantasy genutzt werden kann, um sich mit Angst und Furcht auseinanderzusetzen. — Politik und große Medienunternehmen nutzen (wieder) vermehrt Angst und Misstrauen, um Gefolgschaft und Kunden für sich zu gewinnen und gleichzuschalten. Fantasy kann dabei helfen, mit kopfloser Angst umzugehen, insbesondere bezüglich der drei heftigsten Angst- und Furcht-Auslöser: dem Unbekannten, dem Anderen und dem eigenen Tod.

Kapitel zehn »Wie Fantasy Bedeutung schafft und was sie leistet. Einige Vorschläge« liefert die in den vorherigen Kapiteln gemachten Argumente möglichst bündig und in logischer Ordnung. Attebery rät dazu, dieses Kapitel nicht zuerst zu lesen, sondern ihm durch die Kapitel auf seinem Erkundungsweg zu folgen.

Allgemeines zum Anliegen und Werdegang des Buches

Die einzelnen Kapitel entstanden (siehe Titel der Einleitung) in Form von Vorträgen und verdanken viel der Rückmeldung von, und den Gesprächen mit Zuhörern. Diese Vorträge behandelten das ganze Feld dessen, was John Clute als ›Fantastika‹ bezeichnet {Molo: in etwa ›Phantastik‹ im deutschen Sprachverständnis}, welches sich von Märchen bis hin zur utopischer Science Fiction erstreckt. Im Lauf der Jahre traten dabei die in diesem Buch behandelten beiden Hauptfragen hervor.

Die erste Frage erinnert an »How Does a Poem Mean« (1953) von John Ciardi. Anders als bei Gedichten — bei denen versucht wird, ›Bedeutung‹ durch Interpretation, Übersetzung der poetischen Sprache in eine sachlich-erklärende, weniger kraftvolle Sprache zu ermitteln — liegt bei Fantasy das Problem weniger bei Interpretation, als vielmehr bei Anwendbarkeit. Wie sollen denn unwirkliche Welten tatsächliche Erfahrungen darstellen können? Attbery versteht Missachtung von (Wirklickeits)Bezug {reference}, Sachlichkeit {relevance} und Realismus der Fantasy deshalb als Einladung zum unkonventionellem, symbolischem und strukturellem Denken.

Zweite Frage ist schlichtweg von Jane Tompkins»Sensentional Designs: The Cultural Work of American Fiction, 1790-1850« (1986) geklaut, durch die Attebery zum ersten Mal auf Konzept aufmerksam wurde, daß Literatur kulturelle Arbeit leistet, indem sie in konkreten historischen Bedingungen einer Gesellschaft dabei hilft, über sich selbst nachzudenken; bestimmte Aspekte sozialer Wirklichkeit zu benennen, die Autor und Leser teilen; Konflikte dramatisch darzustellen und Lösungsmöglichkeiten zu unterbreiten. — Fantasy geht dabei indirekter, versteckter und spielerischer vor und läuft quer zur strengen Ernsthaftigkeit mit denen wir uns sonst z.B. mit Liebe, Autoritäten oder dem Göttlichen befassen.

Attbery ist sich bewusst, daß er mit seinen Thesen zur Fantasy Behauptungen über etwas aufstellt, für das viele Menschen eine große Leidenschaft teilen, von Vorlesungssälen und Klassenzimmern, bis hin zu Rollenspiel-Runden und Internet-Diskussionen, etwas, worüber diese Menschen oft umfangreiche Kenntnisse haben. Wenn man diesen Menschen ihre Bedeutung nicht absprechen will, muss man anerkennen, daß Fantasy etwas Bedeutsames ist.

Ältere Auseinandersetzungen mit Fantasy {Molo: hier allgemeiner als ›wundersame Erzählungen‹ also näher an der allgemeinen Bedeutung von ›Phantastik‹ zu verstehen} sind oft von apologetischen, sich um Rechtfertigung bemühenden Tendenzen geprägt. Unter dem herrschenden Zeitgeist, wo Politiker, Karriereberater und Erbsenzähler den Wert der Geisteswissenschaften als Ganzes, und jegliche Art kritischer Auseinandersetzung mit Literatur in Frage stellen, liegt es nahe, die Fantasy {Phantastik} als einen Verfechter der Geisteswissenschaften heranzuziehen.

Wir alle stammen Vorfahren ab, die sich Geschichten ausdachten, um sich die Welt und ihre eigene Stellung in ihr zu erklären. Egal ob wir mit diesen Vorfahren blutsverwandt sind oder nicht, teilen wir als narrative Amerikaner, narrative Europäer, narrative Weltbewohner eine gemeinsame kulturelle DNA, und zu den ältesten Bestandteilen dieser DNA gehört das unrealistische, phantastische Erzählen. Indem wir uns mit Fantasy beschäftigen, geben wir diese DNA weiter, und vielleicht gelingt es uns dabei, sie aufzufrischen.

Pudels Kern konservativer Weltsicht

Leuz wundern sich, was mit den Konservativen nicht stimmt. Kenne leider immer noch nix auf Deutsch, was Genese und Fundament konservativer Überzeugung so gut zusammenfasst, wie diese Ergänzung von Innuendo Studios zu seiner Alt-Right-Playbook-Serie.

Hier ein paar Eckpunkte, welche Überzeugungen und Motive sich hinter typischen Absichtserklärungen von Konservativen verstecken:

Wir stehen für eine verantwortungsvolle Finanz- und Fiskalpolitik. — Gemeint ist: Wir wollen gesellschaftliche Hierarchien bewahren.


Wir wollen Eingriffe des Staates auf die Wirtschaft und die Freiheit der Bürger zügeln. — Gemeint ist: Menschen sind grundsätzlich ungleich und wir vertrauen z.B. lieber auf die ordnende unsichtbare Hand des Marktes oder die Fügungen des Schicksals (GOtt oder sozialdarwinistisches Naturverständnis).


• Wir treten ein für die Rechte des Einzelnen. — Gemeint ist: Wer Macht hat, überlegen ist, mehr Zwang ausüben kann, über die wirkmächtigeren Gewaltmittel verfügt, hat das Recht zu bestimmen. Ergo: Kapitalismus gut (Herrschaft der Wenigen), Demokratie schlecht (Herrschaft der Mehrheit).

Konservative glauben, nur Krieg (Kampf aller gegen alle) ist gutes Mittel, um zu erkennen, wer von GOtt (oder blindem Walten der Natur) bestimmt ist zu herrschen. Zur Not tut’s auch die Konkurrenz des Kapitalismus. Im Grunde sind Konservative bis heute verkappte Monarchie- & Aristokratie-Fans.

Konservative in ihrem Glauben an grundsätzliche Ungleichheit der Menschen verehren also das Heroische der (männlichen) Weltbeweger und neigen zum Vulgär-Prometheanismus. Sich Führung großer Macher zu fügen ist für sie eine Tugend (Demut).

Daher ihre fundamentale Skepsis und Ablehnung aller Ansätze beispielsweise zu gerechter Gleichheit, Transparenz und Nachvollziehbarbeit, sowie ihr strenges Festhalten an strikter Trennung von Machtsphäre (befehlende Mindertheit hinterm Vorhang) und Bevölkerung (befehlsempfangende Mehrheit im Gehege).

Obwohl es große Überlappung zwischen Konservativen und Autoritären gibt, lohnt es sich die beiden Begriffe zu unterscheiden. Für Konservative begründet Macht, Fähigkeit sich mit Zwang und Gewalt durchzusetzten an sich schon Autorität. Natürlich können auch Progressive — beim realpolitischen Ringen um Macht — in autoritäre, anti-demokratische Praxis abgleiten, um den Preis, die eigenen Grundsätze zu verraten.

Umgekehrt fällt es Konservativen schwer, auf dem demokratischen Marktplatz der Ideen offen und ehrlich zu kommunizieren, was die Gründe für ihr handeln sind, weil sie grundsätzlich nicht an Demokratie glauben. Sie müssen sich die meiste Zeit nach Außen verstellen.

Alle Kurzgeschichten von Ted Chiang: Neuausgabe in 2 Bänden bei Golkonda

Todgeglaubte leben länger. Ich war mehr als baff, als ich letztes Jahr zufällig beim Stöbern über die Ankündigung zu diesen beiden schönen Neuausgaben aller Kurzgeschichten von Ted Chiang gestolpert bin. Dachte ich doch, nach dem Verkauf an Scorpio/Europa und dem folgenden Konkurs von Scorpio hätte sich Golkonda erledigt. Aber Europa hat Golkonda wohl auch auf Wunsch des Autors Ted Chiang höchstselbst für eine ›ordentliche‹ Neuedition seiner Stories wiederbelebt.

Ich bin immer noch sehr stolz auf meine Übersetzung der fünf Geschichten, die ursprünglich bei Golkonda als »Die Hölle ist die Abwesenheit Gottes« (2011) erschienen sind. War meine erste richtige Übersetzungsarbeit, zwar für den damals noch sehr kleinen Verlag für umme, auch, weil es quasi ein praktischer Crash-Kurs unter der lehrreichen Mentorenschaft von Hannes Riffel war. Meine Übersetzungen, und die hervorragende Arbeit von Karin Will für den damals zweiten Chiang-Bandes »Das wahre Wesen der Dinge« (2014) wurden zusammen mit den bisher nicht auf Deutsch vorliegenden Geschichten entsprechend der englischsprachigen Sammlungen »Story of your life and others« (2016) und »Exhalation« (2019) neu aufgeteilt. Auch wurden die dort enthaltenden Anmerkungen von Chiang zu den einzelnen Geschichten berücksichtigt. Die Übersetzung des neuen Materials erledigte der von mir geschätzte Jakob Schmidt. — BTW: wer sich sowieso oder im Hinblick auf die kommende Neuverfilmung von »Dune« durch Denis Villeneuve endlich mal Frank Herberts »Wüstenplanet«-Romane vornehmen will, greift bitte zur erheblich besseren Neuübersetzung von Jakob (zudem sind diese Heyne-Neuausgaben schöner aufgemacht und gesetzt).

Weil’s das sonst nirgendwo gibt, hier eine Inhaltsübersicht der schön gestalteten, gebundenen und mit Lesebändchen ausgestatteten Bände.

Die Große Stille (Exhalation), 390 Seiten.

  • Der Kaufmann am Portal des Alchemisten (2007) — molo
  • Ausatmung (2008) — molo
  • Was von uns erwartet wird (2005) — Karin Will
  • Der Lebenszyklus von Software-Objekten (2010) — Karin Will
  • Daceys vollautomatisches Kindermädchen (2011) — Karin Will
  • Die Wahrheit der Fakten, die Wahrheit des Empfindens (2013) — Jakob Schmidt
  • Die große Stille (2015) — Jakob Schmidt
  • Omphalos (2019) — Jakob Schmidt
  • Angst in der Taumel der Freiheit (2019) — Jakob Schmidt
  • Anmerkungen (2019) — Jakob Schmidt

Geteilt durch Null (Story of your life and others), 360 Seiten.

  • Der Turmbau zu Babel (1990) — molo
  • Verstehen (1991) — Karin Will
  • Geteilt durch Null (1991) — Karin Will
  • Geschichte deines Lebens (1998); Vorlage für den Film »Arrival« (2016) von Denis Villeneuve — molo
  • Zweiundsiebzig Buchstaben (2000) — Karin Will
  • Die Evolution menschlicher Wissenschaft (2000) — Karin Will
  • Die Hölle ist die Abwesenheit Gottes (2001) — molo
  • Die Wahrheit vor Augen (2002) — Karin Will
  • Anmerkungen (2016) — Jakob Schmidt

Preis je 24 €, bzw. ca 19 € für Kindle-Version.

Molos Magira-Collection de Luxe als Google Docs

In den letzten Wochen habe ich begonnen meine längeren Texte (Sammel-Rezensionen, Übersetzungen) aus den »Magira – Jahrbuch zur Fantasy«-Ausgaben als Google Docs aufzubereiten. In meinem alten Blog ist die Aufbereitung in einzelnen Einträgen unübersichtlich, weil m. E. insbesondere Einleitungen und Übergänge der Sammel-Rezensionen meine Bemühungen wuppen, Argumente und Handreiche für allgemeines Nachdenken über (Genre-)Phantastik zu fördern. Als Google Doc sind diese Text nun wie ursprünglich gedacht lesbar und lassen sich zudem bequemer runterladen, wenn ihr den Wunsch habt, sie auszudrucken oder in Ruhe offline zu lesen.

Zudem habe ich hie und da die Sammel-Rezensionen um Bonus-Texte ergänzt, wo mir das zum Verständnis hilfreich erschien.

Noch ist nicht alles aufbereitet. Ich gebe auf Twitter bescheid, wenn neue Google Docs dazu kommen.

Ich trau mich bei dem Schaff drauf hinzuweisen, dass ich eine große Wunschliste zusammengestellt habe, für alle, die mir eine Sachspende zukommen lassen wollen.

Viel Spaß!

Magira 2009: »Wonniglich verirrt im Labyrinth der Phantastik-Saison 2008/2009«

  • Ju Honisch: »Das Obsidianherz«
  • China Miéville: »Un Lon Don«
  • Max Brooks: »Wer länger lebt ist später tot – Operation Zombie«
  • Nick Harkaway: »Die gelöschte Welt«
  • Thomas Pynchon: »Gegen den Tag«
  • Hal Duncan: »Das Ewige Stundenbuch 1 – Vellum«
  • Mark Z. Danielewski: »Das Haus«

Bonus

Thomas Pynchon: »Die Versteigerung von No. 49«

Magira 2007: »Gut gelaunte Phantastik-Empfehlungen des Lektürejahres 2006/2007«

  • Neal Stephenson: »Der Barock-Zyklus«
  • Susanna Clarke: »Jonathan Strange & Mr Norrell« / »Die Damen von Grace Adieu«
  • Terry Pratchett, Ian Steward und Jack Cohen: »Die Gelehrten der Scheibenwelt«
  • Sergeij Lukianenko: »Wächter der Nacht«-Bücher
  • Tom Shippey: »J. R. R. Tolkien – Autor des Jahrhunderts«

Magira 2006: »Launische aber aufrichtige Empfehlungen von seltsamen & verwirrenden Fantasybüchern der Phantastiksaison 2005/2006«

  • Tobias O. Meißner: »Das Paradies der Schwerter«
  • Neil Gaiman: »Anansi Boys«
  • Ian R. MacLeod: »Aether«
  • China Miévile: »Der Eiserne Rat« und Bas-Lag
  • Jeff Vandermeer: »Die Stadt der Heiligen & Verrückten«

Bonus

  • Übersetzung »Mittelerde trifft auf Mittelengland« von China Miéville aus »Magira 2003«
  • »Iron Council« und »Der Eiserne Rat«. Fehlende Stellen
  • Übersetzung »The Believer«-Interview mit China Miéville
  • Diana Wynne Jones: »Tough Guide to Fantasyland«

George R. R. Martin: »Armageddon Rock«, oder: Herzblut mit ›Sex, Drugs & Rock’n Roll … & Fantasy‹

Trotz meiner anfänglichen Abneigung und immer noch ziemlichen Skepsis gegenüber ›Game of Thrones‹ hier als Service und Anteilnehmen am allgemeinen Hype zur Ausstrahlung der finalen, achten Staffel der Grim’n-Gritty-Fantasy-Saga, in leicht überarbeiteter Fassung eine Lobeshymne auf mein Lieblingsbuch von Mæster Martin.

Viel Spaß.


Diesen Roman habe ich zum ersten Mal in den frühen Neunzigern (Heyne-Ausgabe) als Teen gelesen, und er hat mich schon damals schwer beeindruckt. Vorausschicken muss ich folgendes: als 72er-Jahrgang blicke ich von Außen auf die kurze Ära der Hippies, der 68er-Gegenkultur, der Blumenkinder zurück, aber meine Perspektive auf diese Bewegung ist im Zweifelsfall von Sympathie und Respekt geprägt. — Seid also gewarnt: wer die Gegenbewegung der Spät-60er/Früh-70er und ihre (alles andere als eindeutigen Strömungen) für eine liederliche Irrung der Nachkriegsgeschichte hält, und also eher mit einer z.B. Jan Fleischauer-artigen Sicht auf diese Zeit zurückschaut, wird von Ton und Haltung des Romanes wohl ziemlich genervt werden.

Andererseits empfehle ich »Armageddon Rock« allen, die George R. R. Martin vor allem als Schöpfer des Fantasy-Epos über die »World of Ice & Fire« verehren und/oder durch die TV-Verfilmung »Games of Thrones« auf ihn aufmerksam geworden sind, und ihn als Großmeister unerwarteter Handlungsstrangverläufe schätzen, der seine Leser — z.B. mit dem Abbleben von Figuren — zu überraschen versteht. Der zeitgenössische, Weltruhm genießende Martin wirkt im Vergleich zu dem jungen Autor, der »Armageddon Rock« schrieb, fast schon (auf augenzwinkernde Art) abgebrüht, und lehnt sich nicht mehr so weit aus dem Fenster, was seine politische und ideologische Haltung betrifft. Aufgemerkt also, dass der kommerzielle Flop und die Welle negativer Kritiken für »Armageddon Rock« nach Erscheinen des Buches 1983 den Autor dermaßen knickten, dass er sich auf Jahre vom Romanschreiben abwandte, um sich im kommerziellen Betrieb der Film- und TV-Branche zu tummeln (u.a. bei Serien wie »The Beauty & the Beast«).

Was bietet also »Armageddon Rock«?

Strukturell teilt sich der Roman in etwa zwei Hälften. Die Karriere des Ex-Hippies und Polit-Aktivisten Sandy Blair verlief enttäuschend und die feste Beziehung zu einer Immobilienmarklerin bröckelt. Aus dem umtriebigen Musik-Journalisten und Mitgründer eines Underground-Magazins der frühen Siebziger wurde ein erfolgloser Roman-Autor der sich leer und ziellos fühlt. Sein ehemaliger Geldgeber-Kammerad vom Magazin hat ihn schon vor Jahren rausgekegelt, hat das einst engagierte, freche Blatt glattgebügelt und lässt es nun zur Melodie des Kommerzes und der Mode pfeifen. Kurz: Sandy fühlt sich in den frühen Achtzigern der Ronald Reagan-Zeit fehl am Platze, ohne genau zu wissen, warum. Doch er bekommt eine Chance von seinem alten Magazin-Kumpel: Unter mysteriös-grauseligen Ritualmord-Umständen ist der ehemalige Manager der fiktiven, super-duper-erfolgreichen Band Nazgul (stelle ich mir vor wie eine Ideal-Kreuzung aus The Doors, Led Zeppelin, Deep Purple und Hawkwind) ums Leben gekommen, und Sandy soll eine große Reportage über diesen Manager, sowie die noch am Leben befindlichen Mitglieder der Gruppe schreiben. Bald schon beschließt Sandy, dass er um die ganze Geschichte des Unterschiedes zwischen damals und heute richtig fassen zu können, nach langer Zeit auch wieder Kontakt mit seinen ehemaligen Freunden und Freundinnen aus WG- und Studienzeiten knüpfen will. Immerhin geht es um den verlorenen Geist einer untergegangenen Zeit, und was aus ihm geworden ist: Wo sind all die Träume von einer besseren Welt geblieben? (Matthias Beltz hat der deutschen Sprache diesen Weltschmerz des vergeblichen Widerstandes gegen die Hegemonial-Authoritäten folgendes knappe, herzzerreißene Kalauer-Poem vermacht: »Parmesan und Partisan | Wo sind sie geblieben | Partisan und Parmesan | Alles wird zerrieben«.) Also fährt Sandy quer durch die USA und mit dieser ersten Road-Trip-Hälfte breitet Martin ein abwechslungsreiches »Einst und Jetzt«-Panorama aus.

Die Nazgul: Der pragmatische Schlagzeuger Gopher John versucht,  getrieben von einem Gefühl der Fairness, in seinem Provinz-Club jungen Bands Starthilfe zu geben. Der sexy, geile Arschloch-Gitarrist Maggio, ist über seiner Drogen- und Sexsucht fett und unansehnlich geworden. Faxon, der künstlerische Songschreiber-Kopf der Band, lebt vermögend und distanziert im Familienglück und sehnt sich dennoch nach den alten kreativen Zeiten. Und als Erinnerungs-Gespenst nie fern: Hobbins, der kleine, hyper-charismatische Albino, der 1971 von einem Scharfschützen während eines Konzerts ermordete Sänger der Nazgul.

Sandys Freunde: Einsamkeit und dröge Job-Routine haben die lebensfrohe, optimistische Maggie langsam ausgehölt. Die naive Bambi, die sich früher im gewaltbereiten Protestmilieu tummelte, hat ihr Glück in einer friedlich-abgeschiedenen Kommune bei Kindern und selbstgemachtem, vegetarischem Essen gefunden. Lark, einst leidenschaftlicher Polemiker gegen das Establishment singt nun als zynischer Werbefuzzi das Hohelied des Neoliberalismus. Der freche intellektuelle Frauenheld Froggy, versucht als kleiner Uni-Dozent seinen Studenten die Ideale der Vergangenheit zu vermitteln. Und da ist die tragischste Figur des Buches, Slum, der pazifistische, gutmütige Kiffer — eine Art Inkarnation von Tom Bombadil —, Sohn aus wohlhabender, konservativer Familie, wollte vor der Einberufung zu Army nach Kanada fliehen und wurde von seinem herrischen Vater an die Feldjäger verraten und in die Klapse gesteckt.

Die zweite Hälfte hebt damit an, dass ein geheimnisvoller Millionär mit Leidenschaft für Okkultismus den Plan verfolgt, die Nazgul wieder zusammenzubringen, eine große Revival-Tour auf die Beine stellen will, um so mit der Macht der Nazgul-Musik und mit Hilfe von Blutmagie abzuschließen, was einst versandet ist: nämlich die finsteren, erzkonservativen, unterdrückerischen Kräfte der kapitalistischen US-Gesellschaft zu überwinden, auf die sich der Roman anhand des militärisch-industriellen Komplexes, Nixon, des Vietnamkrieges, der unverhältnismäßigen Polizeigewalt gegen Demonstranten, der Attentate auf J. F. und Robert Kennedy sowie Martin Luther King bezieht (eingeflochten ist auch die Klage über den zu frühen Tod von Jim Morrison, Jimmy Hendrix und Janis Joplin). Sandy wird als Promotor angeheuert und begleitet also Proben und Konzerte der wiedervereinigten Nazgul. — (Wie der ermoderte Hobbins ersetzt wurde, will ich nicht verraten. Lest selber, Ihr Süßwassermatrosen!)

Verklammert wird das alles einmal mit einer Art Detektivgeschichte, weil Sandy aufdecken will, wer den Nazgul-Manager wirklich gekillt hat (den offiziellen Ermittlungen traut er so weit, wie er ein Klavier werfen kann). Zum zweiten steigert Martin mit großem Geschick die Heftigkeit der ›magischen Verwerfungen‹, die Hauptfigur Sandy drastisch anhand von Alpträumen und Visionen erlebt. Das ergibt dann umwerfend intensiv wirkende Passagen, z.B. wenn Sandy sich schlaflos im Chicago der Achtziger in einer großen Gespenster-Parade der Anti-Kriegs-Demonstranten und harsch durchgreifenden Sicherheitskräfte beim Parteitag der Demokraten 1968 wiederfindet.

Überhaupt Sprache und Stil: Eigentlich logo, dass ein Roman, der teils naiv, teils wehmütig, teils bitter, teils versöhnlich aber stets leidenschaftlich, subjektiv und emotionell danach trachtet, den Geist der »Make Love Not War!«– und »Macht Kaputt Was Euch Kaputt Macht!«-Zeit zu beschwören, in die Vollen greift. Da wird — auch Dank Sandys Schnodderschnauze — kurzweilig kalauert, gesudert, gewitzelt, gestichelt, debattiert. Auch sorgen knackige Beschreibungen von Saufen, Kiffen, Vögeln, Kater-Qualen, Musik-Lauschen und übermütigen Blödsinnsaktionen für Kurzweil. Alle Register der Stimmungsorgel zieht Martin insbesondere bei den schon orgiastischen Konzert-Beschreibung vor allem im letzten Drittel des Romans (Beispiele aus Kap. 20):

Faxons Gesicht war weiß und ausdruckslos geworden, aber seine Finger bewegten sich mit der sicheren Bestimmtheit von einst über die Saiten seines Rickenbacker, und tiefe dröhnende Töne verschmolzen mit dem Strom der Musik, Töne so tief wie das Räuspern Gottes, so bedrohlich wie das erste Grollen eines Erdbebens, so wahr und so schrecklich wie ein Atompilz. {…} Maggio tanzte wild über die Bühne wie jemand, dem man einen elektrischen Schlag versetzt hatte, aber er grinste in einem fort und fletschte höhnisch die Zähne, und seine Gitarre spuckte beißendes, tosendes Feuer. Wie rasend riss er an den Seiten, und die Akkorde flogen wie Rasiermesser. Hobbins wandte sich zu ihm um, funkelte ihn an und kratzte über sein eigenes Instrument. Klänge und Melodiefetzen schossen hin und her, während sie gemeinsam improvisierten. Die Leute standen auf den Stühlen, klatschten über den Köpfen in die Hände, krümmten sich zur Musik, schüttelten sich, fickten die Luft mit den Fäusten.

Ganz selten stieß ich auf Stellen, die ich unelegant fand (z.B. die 1-A Brüste einer Aktivistin, ihre sexy Brustwarzen, die sich stets durch den Stoff abzeichnen! Dafür ist Stoff ja da! … Und Nippel!!). — Außerdem wurde ich durch die Zweitlektüre daran erinnert, was für ein bombiger Geschichtenerzähler Martin ist. Er schreibt zwar im Großen und Ganzen gefällig, also führt keine hoch-›lüterarischen‹ Kunststückchen auf, vielmehr versteht er es z.B. geschickt, das Tempo abzuwechseln, mal zu raffen, mal zu weiten, oder mit ›Leitmotiven‹ zu arbeiten, was den Text zuweilen sehr überzeugend wie einen dieser überlangen, komplexen Prog-Rock-Songs wirken lässt. Ach, und wie es sich für einen apokalyptischen, von düsterer Hippie-Romantik geschwängerten Roman gehört, wird »The Second Coming« von William Butler Yeats ausführlich als Songtext eines Nazgul-Stückes zitiert.

Martin meidet trotz aller merklich spürbaren persönlichen Leidenschaft für ›seine‹ 68er-Gegen- und Musikkultur einseitige Polemik oder platte Parteilichkeit (einige Stellen wirken vielleicht wie blauäugige Verklärung, vor allem was die Musik tatsächlicher Gruppen von damals angeht; aber das wird durch entsprechend wehmütige Schilderungen, wie Kurzsichtig man doch damals war aufgewogen). — Martin gibt sich als nostalgisch-skeptischer Gegner von Fanatismen, Bevormundung und Beengung jeglicher Coleur zu erkennen und der Roman schließt also mit dem beherzigenswerten Fazit, dass Menschen und persönliche Beziehungen glücklicher machen und die Welt wohl besser aussähe, wenn man diese pflegte, statt sich mit kämpferischem Zorn für Ideologien einzusetzen.

Ein wunderbarer Roman, von mir bei Goodreads mit 5 von 5 Sternchen und dem Ettikett »All Time Favorite« bedacht, der glänzend verdeutlicht, dass man den Alternativkultur-Slogan »Sex Drugs & Rock’n Roll« getrost um den vierten Punkt »UND Phantastik« ergänzen kann.

Bonus:

George R.R. Martin: »Armageddon Rock« (EV: 1983); Aus dem Amerikanischen von Peter Robert; 28 Kapitel auf 391 Seiten; Überarbeitete broschierte Neuausgabe bei Golkonda 2014. Auch als eBook erhältlich.
Für ganz innige, bibliophile Martin-Liebhaber gibt es direkt beim Verlag eine auf 111 Exemplare limitierte und signierte Vorzugsausgabe.

China Miéville: »The City & The City«, oder: Mördersuche hüben, drüben und dazwischen

China Miéville (*1972) pflegt die löbliche Programmatik, sich für jeden Roman ein anderes Genre vorzuknöpfen, um daraus schubladensprengende Phantastik zu machen. So ist »The City & The City« erstmal ein klassischer Detektiv-Krimi, wenn Commissar Tydor Borlu den Mord an einer unbekannten Frau aufzuklären hat.

Die Sprache ist meist rau, eben typisch ›Hard-Boiled‹-Krimi, auch wenn Miéville (wie immer) massig einige Wortschöpfungen präsentiert und vertraute Begriffe so verwendet, dass sie neuartig schillern. Trotz der kühlen Sprache ist der Roman ungeheuer dicht gewebt, sprich: bietet viele Details und Ideentupfer, statt Gelaber und unnötiger Rekapitulationen. Zudem sind mir einige äußerst gelungene Dialoge aufgefallen, dank derer Miéville sich und seinen Lesern ermüdend weitschweifige Figurenschilderungen erspart.

Bewundernswert finde ich das große Phantastik-Konzept von »The City & The City«. Da gibt es zwei Städte, die irgendwo in Osteuropa an einer Flussmündung liegen: das altmodischere und politisch-kulturell pluralere Besžel, die Heimat von Kommissar Borlu, und das einheitsparteiisch regierte aber Dank Auslandsinvestitionen modernere und wirtschaftlich florierende Ul Qoma. Die Städte liegen auf seltsam-›magische‹ Art in- und nebeneinander. Keiner weiß, ob diese Eigenheit vor vielen Jahrhunderten durch die Trennung einer Stadt, oder das Zusammenwachsen zweier Städte hervorgerufen wurde. Über die geschichtliche Herkunft der Städte gibt es reichlich, teils durch Tabus erschwerte Debatten. Passt, kennen wir doch Ähnliches, wenn z. B. Ideologen eine Leitkultur einfordern und bestimmte Bräuche, Religionen oder sogar Arten das Bedürfnis nach willentlicher Manipulation des Bewusstseins mittels Rauschzuständen zu befriedigen als ›kulturfremd‹ und ›gehört nicht zum alkoholisch-christlich Erbe des Abendlandes‹ ausgrenzen.

Die Grenze zwischen Besžel und Ul Qoma verläuft sehr unübersichtlich. Da gibt es Bereiche, die eindeutig — ›total‹ — nur der Stadt angehören, in der man sich gerade befindet, dann ›alter‹-Orte, die zur anderen Stadt gehören, und schließlich schraffierte ›crosshatched‹-Zonen (übersetzt als ›Deckungsgleichen‹). Die Einwohner der beiden Städte achten penibel darauf, nur die zur eigenen Stadt gehörenden Dinge und Personen wahrzunehmen, und die andere Stadt zu ignorieren (›to unsee, unsmell something‹).

Mit Worten wie ›grosstopically‹ und ›topolganger‹ beschreibt Miéville die Wirrnisse der Zwillingsstädte Besžel und Ul Qomo. — ›Topolganger‹ bezeichnet das Gegenstück eines Ortes in der anderen Stadt. Eine Straße die nicht total in einer Stadt liegt, hat dann zwei Namen. So ist Ioy Street der Ul Qoma-›topolganger‹ von Rosid Strász in Besžel. Für die Bewohner von Besžel sind die Leute aus Ul Qomo zwar ›grosstopically‹ anwesend, aber es ist Besžel-Bewohnern nicht erlaubt die ›anderen‹ in Ul Qoma direkt und bewusst wahrzunehmen, denn allein das wäre schon eine Grenzverletzung.

(Wie meistens, wenn ich einen neuen Roman von Miéville auf Englisch lese, frage ich mich, wie man solche sprachlichen Eigenarten auf Deutsch meistern könnte. Ich habe die Übersetzung für Bastei Lübbe von Eva Bauche-Eppers nicht komplett ›geprüft‹, aber bei der Querbeet-Zweitlektüre musste ich oft anerkennend nicken und schmunzeln. Das ist Fitzelarbeit, die höchste Konzentration und viel Geschick verlangt.)

Von Klein an werden die Bewohner beider Städte darauf getrimmt, die eigenen kulturelle Merkmale zu verinnerlichen, und diejenigen der anderen Stadt zu ignorieren. Die entsprechenden Regeln der Unterscheidung beziehen sich auf solche Dinge wie Schrift und Sprache, körperliche ethnische Merkmale, und erstrecken sich bis hin zu typischen Speisen, Musik, Gesten und Farben.

Das macht natürlich alles mögliche Alltägliche, beispielsweise Straßenverkehr und Feuerwehreinsätze, ziemlich kompliziert, und erst recht Politik und Geschäftsleben und eben auch Verbrechen, wenn wie im vorliegenden Fall eine amerikanische Archäologin als Gast in Ul Qoma wohnt und dort an Ausgrabungen teilnimmt, deren Leiche aber in Besžel gefunden wird.

Die Einhaltung der Trennung überwacht eine unheimliche Macht namens ›Breach‹ (auf Deutsch ›Ahndung‹). Breach ist nicht nur die Bezeichnung für die Straftat der Grenzverletzung selbst, sondern auch der Überwachungsinstanz, ihrer Mitarbeiter, ja der zwischen/über dem Zweistadtgefüge liegende Ort des ›Bruches‹, des ›Risses‹ wird so genannt. Und vor Breach haben alle Bewohner von Besžel/Ul Qoma große Angst, denn die Breach-Angehörigen verfügen über immense Macht und ihnen entgeht nichts was in den beiden Städten geschieht. Das mindeste, was im Roman einer Person die einen Breach begeht widerfährt, ist, dass sie in einen tiefen Schlaf versetzt wird, der andauert, bis der Delinquent des Landes verwiesen wurde. Doch das ist noch milde, denn für gewöhnlich verschwinden Breach-Missetäter spurlos und für immer.

Wie es sich für einen Miéville-Roman gehört, spielen politische Gruppierungen eine wichtige Rolle und es gibt viele gelungene Schilderungen von Besonderheiten unterschiedlicher Milieus. Also uffbasse: dieser Roman legt es darauf an, uns Leserinnen schwindlig zu machen, auch mit all diesen Vetracktheiten ein wenig Beklemmung einzuflößen. Wer sich darauf einlassen mag, kann ein Hirnsausen erleben, mit dem auch die  Bewohner der Doppelstadt ständig zu ringen haben dürften.

Der erste Teil des Romans ist in Besžel angesiedelt, und unter anderem begleiten wir Tydor Borlu zu einer Komitee-Sitzung , bei der entscheiden werden soll, ob man wegen des Mordes an der Unbekannten Breach beschwören soll. Wir lernen Besžel-Faschos von den ›True Citizens‹ und linksgesinnte Vereinigungs-Aktivisten kennen. Wir erleben, welche Umstände ausländische Besucher verursachen und erdulden müssen, und bestaunen den größten zwie-städtischen Grenzübergang Copula Hall.

Ul Qoma steht im Mittelpunkt des zweiten Teils, und ein wichtiger Schauplatz ist hier eine archäologische Grabungsstädte, auf der ein internationales Forscherteam arbeitet. Dramaturgischen Steigerungsschwung erlangt die Handlung durch Borlus Besucherstatus, und durch seine Zusammenarbeit als Berater für den Ul Qoma-Ermittler Quissim Dhatt. — Der Roman beginnt recht sachte und scheinbar krimi-gewöhnlich, steuert jedoch mit einem wundervollen Spannungsbogen auf einen chaotisch-fulminanten Höhepunkt zu.

Richtig gut finde ich Phantastik nicht etwa dann, wenn sie mir Wohlfühlträumerei ermöglicht, sondern wenn sie meinen Assoziationsmotor auf Touren bringt. Der Weltenbau und die Geschichte von »The City & The City« ermunterten mich zu aufregenden Gedankenspaziergängen über Phänomene zur Definition, Beachtung und Missachtung von Grenzen und Ausgrenzung, Wahrnehmung, kollektiver und individueller Identität und Erinnerung. Der Roman sensibilisiert, (wieder) darauf zu achten, was man selbst in seiner Umgebung ausblendet, oder was Mitmenschen, die man beobachtet, im öffentlichen Raum willentlich übersehen. Es ist erstaunlich und leicht verstörend zu bemerken, wie viele unsichtbare Barrieren unsere moderne Lebenswelten durchziehen, hinter denen fremdartig wirkende, Alte, Kranke, Beeinträchtigte und andere Menschen verschwinden. Achtet mal darauf, wo sich Vergrämungsmittel und Absperrungen in eurer Stadt nicht etwa gegen Tauben und anderes tierisches Ungeziefer, sondern gegen Obdachlose und sonstige unerwünschte Personengruppen richten. Wer wie ich in einer Service-Branche arbeitet, kennt vielleicht die sanfte Verpflichtung als Grüßaugust zu fungieren, und zu verinnerlichen, wer z. B. beim Kommen und Gehen in einem Empfangsbereich gegrüßt werden will, bei wem (wegen Morgenmuffeligkeit oder Dauertelefonieren mit Kopfhörern) ein Nicken reicht und wer sich tunlichst darum bemüht mit einer Empfangskraft gar nicht erst Blickkontakt aufzunehmen, weil das Zur-Kenntnis-Nehmen eines Mindestlohns-Dienstleistungs-Deppen bereits eine soziale Zumutung bedeutet.

Eine kürzere Version dieser Besprechung erschien ursprünglich im Mai 2009 in meinem alten Blog. Mittlerweile gibt es seit 2018 von »The City & The City« eine Verfilmung als vierteilige Mini-Serie für BBC Two und die ist (was mich ein wenig freudig überrascht) sogar im deutschen Fernsehen versendet worden und ist seit Februar 2019 auch als VOD und DVD erhältlich. Letzte Woche im Urlaub hab ich diese Adaption gesichtet und kann verkünden: durchaus gelungen und eine empfehlenswerte Erstkontakt-Möglichkeit für die seltsamen Welten von China Miéville. Freilich konnte vom sprachlich-semiotischen Chaos des Szenarios nur das für die Krimi-Handlung wichtige umgesetzt werden, und die Erzählung konzentriert sich vor allem auf das emotionelle Auf und Ab der Hauptfiguren, aber den atmosphärisch-thematischen Kern der Geschichte hat man gut einfangen und das komplexe räumliche, politische und kulturelle Durcheinanders der Städte hat man sehr geschickt und mit viel Liebe zum Detail veranschaulicht. Zudem freut mich, wie hier Schauspieler David Morrissey (bekannt als ›The Governor‹-Bösewicht in Staffel 3 und 4 von »The Walking Dead«) glänzt, zudem er sich in einer Fragerunde zur »The City & The City«-Verfilmung als begeisterter Miéville-Fan outet.

The City & The City_Episode 2_Miéville Cameo.png

Miéville-Cameo in Episode 2 der »The City & The City« Mini-Serie.

Die kluge SF-Kritikerin und Herausgeberin (»Clarkesworld Magazine« und »Emerald City« Fanzine) Cheryl Morgan bringt den Wert von China Miévilles Schöpfung in ihrem Blogeintrag zum Roman sehr gut auf den Punkt:

People will get themselves all mixed up over the presence or absence of fantastical elements {… whether it is actually a science fiction or fantasy book at all}. And that will be magnificently ironic because the book is all about our obsession with categorization. {…} While the book is obviously about multiculturalism, the same argument can be extended to issues such as gender, and even to fandom. {…} Ah well, maybe China will manage to get a few more people to think. {…} And obsession with categories is a dangerous thing.

Molo-Übersetzung:

Über das Vorhandensein oder Nichtvorhandensein von phantastischen Aspekten, {… und ob es sich bei dem Roman nun eigentlich überhaupt um Science Fiction oder um Fantasy handelt …} werden sich die Leute in Debatten verstricken. Das ist wunderbar ironisch, denn das Buch spricht die ganze Zeit über unsere Obsession was Kategorisierungen betrifft. {…} Obwohl sich das Buch offensichtlich mit Multikulturalismus auseinandersetzt, lässt sich sein Hauptanliegen auch auf solche Themen wie Geschlecht, ja sogar Fandom anwenden. {…} Nun ja, vielleicht schafft es China ja, mehr Leute zum Denken zu bringen. {…} Es ist gefährlich von Kategorisierungen besessen zu sein.


China Miéville: »The City & The City« (2009), 312 Seiten; Macmillan (gebundene UK-Ausgabe); Pan (UK-Taschenbuch 2011); Übersetzt von Eva Bauche-Eppers bei Bastei Lübbe (Deutsche Taschenbuch-Ausgabe 2010); Pandastorm DVD (BBC-Miniserie 2018, ca. 240 Minuten).